„Herr Richter – hier ist ein Haar in meiner Tüte“

Wenn ein gestandener Verteidiger auf allen Vieren durch den Gerichtssaal robbt, dann heißt es: Aufgepasst, jetzt wird es spannend.

Der Kollege hatte engagiert verteidigt und die Kammer mit kreativen Beweisanträgen beschäftigt. Sein Mandant war nach der Anklage der Haupttäter, die anderen Angeklagten hatten bislang geschwiegen. Als „Sockelverteidigung“ wird ein solch gemeinsames prozessuales Vorgehen von mehreren Angeklagten bezeichnet. Nun aber bröckelte es – einer der übrigen Angeklagten hatte seinen Tatbeitrag eingeräumt und den „Haupttäter“ belastet. Er selbst sei aber gar nicht direkt am Ort des Hauptgeschehens gewesen.

Wer diesen Schritt geht, sollte auf alles gefasst sein. Auch und gerade von Seiten des Kollegen dessen Mandanten man gerade „in die Pfanne gehauen“ hat. Was nach Ende des Prozesstages geschah, hat aber auch mich noch überrascht. Mit einem weißen Din A4 Blatt und einer Platikhülle bewaffnet, rutschte der Kollege unter dem Stuhl des „Verräters“ entlang und beförderte mit großer Sorgfalt ein auf dem Boden liegendes Haar in die Hülle, um sodann am nächsten Hauptverhandlungstag den folgenden Antrag zu stellen:

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Ich konnte das Schauspiel recht entspannt von der „Seitenlinie“ beobachten und habe nur gestaunt und gelernt: Ich mag weder den Verrat, noch mag ich die, die den Verrat mögen – dem „Verräter“ geht es aber oft genauso.

Absurde Anstalt: Haftentlassung dient nicht der Eingliederung

Der Mandant saß gerade eine kleine Freiheitsstrafe ab. In der Zeit davor hatte er einige Male den Aufenthaltsort gewechselt und sich nicht immer gleich angemeldet. Die Behörden winkten nun, als er wieder „greifbar“ war, mit zwei kleinen Geldstrafen – insgesamt 595 € – aus älteren Verfahren, die noch offen waren. Finanziell sah es, dank der vorher gefrönten Spielsucht, mal wieder nicht so blendend aus. Es drohte also die Vollstreckung der „Geldstrafen“ als Ersatzfreiheitsstrafen. So weit – so schlecht.

„Aber ich arbeite doch hier drinnen. Da müsste sich schon etwas angesammelt haben.“ Die Kosten einer Unterbringung in der Haft sind mit denen in einem 4-Sterne Hotel vergleichbar, der Komfort entgegen der gängigen Darstellung in der Boulevardpresse leider nicht. Da der Mandant die Gastfreundschaft des Hauses nicht länger aus unbedingt nötig in Anspruch nehmen wollte, machte er den sinnvollen Vorschlag, die Geldstrafen aus dem angesparten „Hungerlohn“ zu zahlen. Dank 5%-iger Zulage für „ungünstige Umgebungseinflüsse“ erhielt er monatlich 240,92 € Arbeitslohn als Außenarbeiter in der Außenkolonne. Das wird dann von der Anstalt auf dem Gefangenenkonto säuberlich aufgeteilt und als Hausgeld, Überbrückungsgeld und Eigengeld auf dem Lohnschein ausgewiesen. Warum diese Aufteilung? Für die unterschiedlichen Guthaben gibt es Verfügungsbeschränkungen. Das Überbrückungsgeld soll dem Zweck dienen, den Lebensunterhalt für den Gefangenen und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen für die ersten 4 Wochen nach der Entlassung sicherzustellen.

Jetzt hatte mein Mandant zwar schon über 1.000 € angespart. Die „Brücke“ war aber noch nicht voll. Die geforderten 1.400 € zuzüglich 1.100 € pro unterhaltsberechtigten Angehörigen waren noch nicht erreicht. Und da dem Anstaltsleiter so sehr an der erfolgreichen Eingliederung des Gefangenen lag, stimmte er nicht zu, aus dem angesparten Betrag die Geldstrafen zu zahlen:

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Stattdessen sollte der Mandant weitere 30 Tage in Haft verbringen, damit er bei seiner Entlassung noch etwas mehr „Brückengeld“ erhält.

Damit hat der fürsorgliche Anstaltsleiter doch alles erdenklich mögliche für eine erfolgreiche Eingliederung des Gefangenen getan, oder? Herr Gauselmann wird´s ihm danken.

Der unbefangene Richter: „Schreiben Sie sich das auch mal hinter die Ohren!“

In einem umfangreichen Schwurgerichtsprozess habe ich die Nebenklage vertreten. Auf der anderen Seite saßen fünf Angeklagte, die von zehn sehr erfahrenen Kollegen verteidigt wurden. Diese hatten ihre Mandanten „zugenagelt“ – also folgten sie dem anwaltlichen Rat und schwiegen. Es sollte eine mühsame, aber auch spannende Beweisaufnahme werden.

Am 30. Verhandlungstag erschien ein die Ermittlungen leitender Kriminalbeamter (bereits zum sechsten Mal), um zu berichten und Fragen zu beantworten. Das tat er dann auch – seit 10.15 Uhr berichtete und beantwortete er. Der Sitzungstag neigte sich dem Ende und als sich um 16.15 Uhr zunächst niemand mehr meldete, um weitere Fragen an den Zeugen zu richten, wollte der Vorsitzende diesen entlassen. Nicht so „voreilig“ – die Ankündigung der „Entlassung des Zeugen“ beflügelte die Motivation eines Verteidigerteams, das sodann einen bereits erschöpfend abgegrasten Themenkomplex bearbeitete. Die Fragen kreisten um eine Vernehmung ihres Mandanten im Ermittlungsverfahren. Nachdem eine Frage vom Gericht bereits als unzulässig – weil bereits beantwortet – zurückgewiesen wurde, folgten weitere Fragen der Verteidiger. Der Vorsitzende kündigte um 16.55 Uhr an, den Sitzungstag beenden zu wollen. Das passte den Verteidigern nicht und die Stimmung kippte. Im Rahmen der folgenden Diskussion entspann sich das folgende, recht amüsante Wortgefecht:

Richter: Sie werden nicht erleben, dass Sie im Anschluss an diesen Prozess nahtlos in Rente gehen können.

Verteidiger: Moment – das schreibe ich mir auf.

Richter: Das können Sie sich ruhig aufschreiben, schreiben Sie sich das auch mal hinter die Ohren!

Ablehnungsgesuche bergen immer Sprengstoff. Es folgen dienstliche Erklärungen der Beteiligten über den genauen Ablauf und den Wortlaut. Die verbliebenen Richter der Strafkammer ziehen sodann einen anderen Richter zur Beratung hinzu und entscheiden unter Ausschluss des abgelehnten Richters darüber, ob das beanstandete Verhalten geeignet ist,

„bei einem verständigen Angeklagten die Annahme hervorzurufen, dass der abgelehnte Richter dem Angeklagten gegenüber eine innere Haltung einnehme, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflusse.“

In den allermeisten Fällen werden Befangenheitsgesuche als unbegründet zurückgewiesen. So auch hier:

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Die „Würdigung“ des „Hinter die Ohren Schreibens“ als bloße „Bekräftigung“ hat mich zwar schmunzeln lassen, aber nicht wirklich überzeugt. Krähe hin oder her. Im Ergebnis aber wohl zutreffend hat der Vorsitzende mit der Ladung des Zeugen für einen weiteren Sitzungstag seine Unbefangenheit noch in der „Nachspielzeit“ gerettet.

In den noch folgenden 75 Hauptverhandlungsterminen habe ich hin und wieder mal nachgesehen: Nichts gefunden – hinter den Ohren des Verteidigers ;o)

 

Verzögerungstaktik – Allianz

Hin- und wieder mache ich es noch: Verkehrsunfallschadensregulierung. Nicht gerade spannend und bei Streitwerten unter 3.000 € auch nicht wirklich lohnend. Aber für meine Stammkunden bin ich natürlich gerne da.

Der Mandant hatte letztes Jahr einen Unfall mit seinem Motorrad. Der Gegner – mit seinem Taxi – hatte ihn auf der Kreuzung einfach übersehen. Im folgenden Ordnungswidrigkeitenverfahren bezahlte der Gegner ein Bußgeld. Zivilrechtlich war die Haftpflichtversicherung von der Allianz nicht so schnell einsichtig. Nachdem der Schaden geschildert und unter Vorlage eines Sachverständigengutachtens beziffert wurde, folgte das übliche Spiel auf Zeit: Fragen nach Vorschäden, obwohl dies bereits im Gutachten beantwortet wurde. Ein Nachbesichtigungsverlangen, obwohl darauf kein Anspruch besteht und nun zur Krönung noch eine weitere kreative Idee des Sachbearbeiters: Da ich in der Zwischenzeit meinen Kanzleisitz verlegt hatte, sollte ich doch bitte eine neue Vollmacht vorlegen:

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Da hatte sich sein Schreiben doch mit meiner letzten Tätigkeit in der Sache überschnitten. Ich habe mich wirklich gefreut dem Sachbearbeiter die passende Antwort schicken zu können:

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Bitte, bitte, liebe Kollegen. Es gibt für dieses Problem nur eine Lösung: Es muss auch bei kleinen Streitwerten viel schneller geklagt werden, damit sich dieses dummdreiste Spiel auf Zeit für die Versicherungen nicht mehr lohnt!

Wer nicht dealen will, muss fühlen!

Der Mandant war mit seinem vorigen Verteidiger unzufrieden. Vor dem Amtsgericht hatte er sich eine saftige Geldstrafe gefangen, obwohl der Kollege ihm doch versichert hatte, dass er ganz sicher freigesprochen werde. Ich sollte mich nun um die Berufung beim Landgericht kümmern. Wenn das Erstgespräch schon mit Kollegenschelte beginnt, halte ich mich erstmal zurück. Was genau zwischen Verteidiger und Mandant besprochen und wie die Beweislage von diesem eingeschätzt wurde, weiß ich nicht weil ich nicht dabei war. Grundsätzlich vertraue ich meinem Mandanten, aber in solchen Fällen halte ich es auch für möglich, dass dieser die Einschätzung des Kollegen nur „selektiv“ wahrgenommen und die Hinweise auf Unwägbarkeiten in der Beweisaufnahme – die den „sichereren Freispruch“ etwas unsicherer machen – ausgeblendet hat.

Also forderte ich zunächst die Akte an. Vorgeworfen wurde meinem Mandanten Sozialleistungsbetrug, er habe ALG II bezogen und dabei eine geringfügige Erwerbstätigkeit nicht angegeben. Die Beweislage sprach eindeutig gegen den Mandanten. Der Sachbearbeiter des Jobcenters hatte angegeben, dass ihm keine Tätigkeit gemeldet wurde, daher wurde auch keine Anrechnung vorgenommen und es kam zur Überzahlung. Auch eine geringfügige Erwerbstätigkeit muss natürlich angegeben werden und die Einkünfte daraus werden ab einem gewissen Betrag auf das ALG II angerechnet. Die Berechnung obliegt dem Jobcenter und nicht dem Leistungsempfänger.

Konnte es tatsächlich sein, dass der Kollege dem Mandanten trotzdem einen „sicheren“ Freispruch versprochen hat? Ich wollte es erst nicht glauben aber dann las ich weiter in der Akte und fand im Hauptverhandlungsprotokoll folgenden Aufschrei der Empörung des Kollegen:

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Ahhh ja. 30 Jahre als Strafverteidiger im Geschäft und noch nie ein Dealangebot erhalten? Hut ab Herr Kollege. Ihr Ruf als „unnachgiebiger Rächer der unschuldig Verfolgten“ scheint Ihnen voraus zu eilen.

Zugegeben, es gibt schwierige Situationen in den man sehr genau abwägen muss, ob man einem Mandanten dazu rät, auf einen „Deal“ einzugehen. Teilweise wird da bei wesentlich fragwürdigerer Beweislage ein enormer Druck aufgebaut. Dieses Angebot gehörte aber mit Sicherheit nicht dazu…

Den Staatsanwalt vor den Karren gespannt

Heute bestellt – morgen geliefert. So sollte es zumindest sein. Mein Mandant betreibt einen Onlineshop für Unterhaltungselektronik und die Kunden erwarten – zu Recht – eine prompte Bearbeitung ihrer Bestellungen. In den meisten Fällen funktioniert dies auch.

Aber wehe wenn das mal nicht so klappt. Wie bei Herrn R. – als dessen bestellte Kamera nicht sofort eintraf – rief er: “ Das ist doch BETRUG. Herr Polizist, Herr Staatsanwalt, Herr Richter schreiten Sie zur Tat“.

Immer wieder werden die Ermittlungsbehörden vorgeschickt, um mit dem Druck eines strafrechtlichen Verfahrens eine vermeintlich bestehende zivilrechtliche Forderung durchzusetzen. Teilweise liegen dem Lappalien und Missverständnisse zu Grunde, die leicht aus der Welt zu räumen gewesen wären. Wenn aber die „Justizmühle“ erstmal in Bewegung geraten ist, kommt es häufig auch trotz sehr leicht zu ermittelnder entlastender Beweislage zum Erlass eines Strafbefehls.

Manchmal wünschte ich mir, dass die objektivste Behörde der Welt, auch hin und wieder mal Ihrem Auftrag zur Ermittlung der entlastenden Umstände nachkäme. Dann hätte sie zumindest in diesem Fall ganz einfach herausbekommen, dass der Mandant neben diesem Meckerkunden schon 33.644 positive Bewertungen von zufriedenen Bestellern vorweisen konnte. Das rückt den erzürnten Erfahrungsbericht des Herrn „R“ vielleicht schon in ein anderes Licht. Wenn man dann noch vom Beschuldigten erfährt, dass der Anzeigeerstatter verschwiegen hat, dass ihm eine Rückerstattung angeboten wurde, da der Artikel nicht auf Lager war, sollte man spätestens den Deckel zumachen. Tat man aber nicht. Der Mandant hatte das alles zwar schonmal so geschildert. Ernst genommen wurde es aber erst als der Verteidiger es etwas detaillierter aufgedröselt hat:

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Meine Empörung legte sich aber auch ganz schnell wieder, als die Einstellungsnachricht erfolgte. Hin und wieder verteidige ich dann doch tatsächlich „Unschuldige“ ;o)

Keine Faxen am Amtsgericht Leipzig

In einer Strafsache vor dem AG Leipzig hatte sich mein Mandant kurz vor Weihnachten noch ein Urteil gefangen, dass seiner Weihnachtsstimmung eher abträglich war. Also legte ich Berufung ein. Per Telefax – und war überrascht, als ich bereits am 15.01.2014 das Urteil mit Rechtskraftvermerk erhielt. Also ging eine Kopie des fristgemäß eingelegten Rechtsmittels mit Faxnachweis ans Gericht. Die daraufhin angestellten Nachforschungen seitens des Richters wurden mir nun offenbart und brachten bezüglich der Erreichbarkeit eines der größten deutschen Amtsgerichte Bedenkliches zu Tage:

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 Ja ich weiß: das war zwischen Weihnachten und Neujahr, ja genau: da haben auch Techniker gern mal frei ABER es sind 14 Tage. Und gerade in den letzten Tagen des Jahres geht für die Zivilisten das große Wettrennen, um die Rettung der Verjährungsfristen los. Zwei ganze Wochen ohne funktionierendes Fax und die Absender erhalten noch mit dem Übertragungsprotokoll die Rückmeldung, dass die Übertragung funktioniert habe.

Heute dann eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte zuerst: heute vormittag schon wieder keine Faxen am AG Leipzig. Die Gute: seit heute nachmittag läufst wieder rund. Na denn: Ein Hoch auf die Faxprotokolle!

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Die Geheimwaffe der überlasteten Wirtschaftsstrafkammer?

Die Anklage umfasst 120 Seiten, richtet sich gegen sieben Angeklagte und insgesamt geht es um einen Schaden im hohen sechsstelligen Bereich. Rechtlich steht ein Bandenvorwurf im Raum und 356 Zeugen wurden aufgeboten. Auf den ersten Blick nachvollziehbar, dass die Staatsanwaltschaft zur großen Strafkammer beim Landgericht angeklagt hat. Da lag sie nun – nach ca. einem Jahr kam mal eine Zwischenmeldung von der zuständigen Wirtschaftsstrafkammer – „ja die Anklage ist hier gelandet, aber wir haben grad ´ne Menge zu tun. Wir melden uns.“  Nun – nach mehr als zwei Jahren dann das nächste Lebenszeichen vom Landgericht. Was kann das wohl sein? Da haben die aber lange überlegt, richtig Gedanken gemacht haben die sich bestimmt und sorgfältig geprüft – aber worüber hat man so lange gebrütet?

Na bestimmt wie man die Nummer vom Tisch bekommt. Natürlich nur vom eigenen. (Das war zumindest mein erster Gedanke als ich den Tenor des Beschlusses las). Das Zauberwort heißt: Verweisung. Das Landgericht eröffnet das Hauptverfahren vor dem erweiterten Schöffengericht des Amtsgerichts. Auf den ersten Blick mutet es ungewöhnlich an:

Keine Zuständigkeit des LG

Aber mein erster Gedanke tat der Kammer unrecht, denn was dann auf den nächsten zehn Seiten folgte war eine sauber begründete Z E R L E G U N G der Anklageschrift.  Der hinreichende Tatverdacht für mehrere Vorwürfe wurde verneint, der Anklageschrift enthalte keine konkretisierten Angaben zu möglichen Tatvarianten, für einen Teil der Vorwürfe sei der mitgeteilte Sachverhalt mehrdeutig, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit könne aber keine Sachverhaltsvariante nachgewiesen werden. Wozu der Großteil der Zeugen etwas sagen können soll, sei nach Aktenlage nicht ersichtlich, denn sie wurden bislang nicht vernommen, hätten aber darüber hinaus ohnehin ein Auskunftsverweigerungsrecht. Für einige der behaupteten Zahlungen ergeben sich keine Belege und die durch die Kammer angeregten Nachermittlungen hätten zu keinen weiteren Erkenntnissen geführt.

So etwas liest man als Verteidiger doch gern. Zwar wurde wegen einiger verbliebender Vorwürfe die Anklage zugelassen, aber weder Straferwartung noch Bedeutung der Sache begründen eine Zuständigkeit des Landgerichts. Viel zu häufig werden Anklagen mit eklatanten Fehlern erstmal zugelassen und die nicht haltbaren Vorwürfe dann im weiteren Verlauf als „Verhandlungsmasse“ eingestellt. Unterbewusst ist man damit dem Angeklagten ja schon „sehr entgegen gekommen“ und wird dies dann bei der Strafzumessung der verbliebenen Vorwürfe psychologisch mit einpreisen.

Im Grunde geht damit eine viel diskutierte rechtspolitische Forderung der Verteidigung in Erfüllung: Die Trennung zwischen „Eröffnungsrichter“ und „Tatrichter“. Ein Gericht entscheidet über die Eröffnung des Verfahrens. Ein anderes Gericht muss die Sache dann verhandeln. In der Theorie umgeht man damit die richterliche Befangenheit durch Vorbefassung in der Sache. Denn ein Tatrichter der schonmal entschieden hat, dass die Anklage eröffnet wird, hat ja bereits entschieden, dass nach „vorläufiger Tatbewertung“ eine Verurteilung hinreichend wahrscheinlich ist.

Hier finde ich es fast schade, dass ich nicht mit der Kammer verhandele, die sich schon so kritisch mit der Anklageschrift auseinandergesetzt hat. Aber wer weiß – vielleicht kommt es ja doch noch dazu: Die Staatsanwaltschaft hat sofortige Beschwerde eingelegt. Jetzt ist das Kammergericht dran.

Freie Rechtsschöpfung eines OStA – Die Pflichten des Beschuldigten nach einer Einstellung

Wenn die Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt hat, kann der Beschuldigte erst einmal aufatmen. Selbst wenn sich hypothetisch im weiteren Verfahren eine Schuld hätte feststellen lassen, wäre diese als gering anzusehen. Damit ist das Verfahren beendet. Eine Wiederaufnahme ist nur unter engen Voraussetzungen möglich. Es sei denn, man befindet sich im Zuständigkeitsbereich des Oberstaatsanwalts H. Dieser hat da so seine ganz eigenen Vorstellungen was man alles als Beschuldigter – auch nach einer Verfahrenseinstellung – noch tun muss, damit die Gnade der Einstellungsverfügung erhalten bleibt:

Einstellung153

Man beachte also in Zukunft den in freier Rechtsschöpfung entstandenen Grundsatz „Lex OStA H.“. Danach muss der Beschuldigte auch nach der Bekanntgabe einer Einstellungsverfügung noch:

1. Unrechtseinsicht zeigen und

2. sich um Schadenswiedergutmachung bemühen.

Der Oberstaatsanwalt dreht also einfach das Regel/Ausnahmeprinzip im Rahmen der Wiederaufnahmegrundsätze um. Anstatt nach der getroffenen Einstellungsverfügung hohe Anforderungen an die Voraussetzungen einer Wiederaufnahme zu stellen, werden höchste Anforderungen an das Verhalten des Beschuldigten gestellt, damit diese Einstellung auch weiter bestehen bleibt.

Diese vorgeschobenen Gründe tragen eine Wiederaufnahme eigentlich nicht. Unter normalen Voraussetzungen müssen

neue Tatsachen und Beweismittel dazu führen, dass die Schuld des Beschuldigten nicht mehr als gering anzusehen wäre (und selbst das ist umstritten).

Der wahre Hintergrund ist natürlich ein anderer: Die Verfahren gegen die zahlreichen Versicherungsnehmer waren längst beendet, als der OStA H. merkte, dass das Verfahren gegen den Hauptbeschuldigten – der von mir vertreten wurde – noch offen war. Und da noch einige Fragen im Raum standen, hat er mal Flux an einem Sonntag verfügt, dass 80 Verfahren wieder aufgenommen werden, um die Beschuldigten aufzuscheuchen und belastende Angaben gegen meinen Mandanten zu erhalten.

Ich würde ja gern weiter berichten, dass sich dann alle „gesondert Verfolgten“ geweigert haben Angaben zu machen oder zumindest die erlangten Angaben dann nicht verwertbar waren, der Staatsanwalt auf meinen Antrag hin abgelöst wurde oder so etwas ähnlich schönes, aber diese Geschichte hatte leider kein Happy End.

Es bleibt die Fassungslosigkeit und ein ganz übler Nachgeschmack…

Wir wollen keine Fremden hier – Pflichtverteidiger vs Kostenbeamter I

Wenn man nicht im eigenen Sprengel unterwegs ist, sondern auch mal einem Stammkunden aus der alten Wahlheimat als Pflichtverteidiger zu Hilfe eilt, dann gehören die Reisekosten zu den notwendigen Auslagen, die zunächst von der Landeskasse zu erstatten sind. Im Falle des Schuldspruchs werden diese zwar zum Verurteilten durchgereicht, aber manche Richter ordnen auswärtige Anwälte so gar nicht gerne bei, denn man ist ja zur Sparsamkeit der Haushaltsmittel angehalten. Und außerdem stand dass doch auch so im Gesetz, oder? Richtig, da stand´s mal bis 2009, seitdem nicht mehr. Aber auch davor kam man an dem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant nicht vorbei.

Ich kenne ja die untauglichen Versuche, um diese exorbitant teuren 0,30 € pro Kilometer des auswärtigen Verteidigers nicht übernehmen zu müssen. So wurde ich zunächst

zu den Gebühren eines in I… ansässigen Rechtsanwalts beigeordnet

Als Fan von Burhoff kenne ich auch die Gegenmaßnahmen und bekomme das zur Not noch im Nachhinein korrigiert, aber diesmal wollte ich es vor der Hauptverhandlung geklärt haben:

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Es ließ sich auch ganz gut an:

Beschränkung-entfällt

Irgendwie dachte ich, das geht dann bei der Festsetzung reibungsloser. Das setzt natürlich voraus, das der Kostenbeamte die relevanten Entscheidungen in der Akte auch mal liest. Macht er das wohl? Fehlanzeige:

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Also nahm ich Stellung:

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Vielleicht war es ganz gut, dass ich das zuständige Fräulein an dem Tag telefonisch nicht mehr erreicht habe. Das ironische Angebot mit meinen Kontoauszügen hätte ich mündlich wahrscheinlich etwas anders formuliert. Ich wollte mich dann nicht länger aufregen und habe die Akte erstmal weggehängt – ohne Wiedervorlage und schwups zwei weitere Monate später erfolgte dann auch schon die Festsetzung – mit Reisekosten.

Ich helfe wirklich gern mal einem alten Mandanten für den Kurs der überschaubaren Pflichtverteidigervergütung. ABER was ich gar nicht leiden kann ist, wenn die Hüter der Landeskasse dann versuchen noch daran herumzumäkeln und das Ganze so in die Länge ziehen.

Frei nach Tubbs & Edward: „das ist unser „Goldtopf“ für unsere Leute, wir mögen keine Fremden hier“

Seitdem habe ich – auch dank Burhoff – den 47 RVG für mich entdeckt.