Medizinstrafrecht – Abrechnungsbetrug

Abrechnungsbetrug durch fehlerhafte Leistungskodierung (Upcoding)

Ob eine medizinische Leistung objektiv „falsch“ codiert wurde, ist oft nicht eindeutig. Die Übergänge zwischen verschiedenen Diagnosen, Behandlungen oder der Einordnung von Komplikationen sind fließend. Eine klare Trennung ist vielfach im Einzelfall nachträglich nicht mehr möglich. Wenn sich jedoch aus einer Vielzahl ähnlich gelagerter Fälle in der Abrechnungspraxis einer Klinik ein bestimmtes Muster erkennen lässt, dass mit der Lebenswirklichkeit nicht in Einklang zu bringen ist, dann liegt eine bewusste Täuschung zur Erlösmaximierung nahe. Die Anreize für eine bewusste Täuschung und die Fehlerquellen für eine strafrechtlich nicht relevante Fehlinterpretation der Abrechnungsgrundlagen liegen allerdings oft dicht beieinander in dem nicht leicht nachvollziehbaren Fallpauschalenkatalog.

Wenn Behandlungen für bereits verstorbene Patienten abgerechnet werden, ist der Fall eindeutig. Ebenso wenn eine Brustvergrößerung als Brustkrebsoperation codiert wird. Was aber, wenn bei einer Patientin tatsächlich eine Tumorbildung in der Brustdrüse vorlag? Wie soll eine Strafkammer rückblickend entscheiden, ob eine Gewebetransplantation mit mikrovaskkulärer Anastomosierung (Kosten gemäß DRG J01Z  ca. 10.000,00 €) oder eine plastische Rekonstruktion der Brust mit Haut- und Muskeltransplantation (Kosten gemäß DRG J01Z ca. 17.000,00 €) medizinisch indiziert war? Gerade hier ergeben sich Ansatzpunkte für die Verteidigung, um mit Unterstützung von medizinischen Sachverständigen dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft die entsprechenden Argumente für die eine oder andere Einordnung nachvollziehbar darzulegen.

Nicht jede noch so offensichtliche Manipulation ist strafrechtlich justiziabel. Der GKV-Spitzenverband weist in einem Argumentationspapier auf eine „überzufällige Häufung von Angaben zum Geburtsgewicht bei besonders kleinen Frühgeborenen“ im Jahr 2009 hin. Bei dem Geburtsgewicht von 750 Gramm verläuft ein „Sprung“ zwischen zwei Abrechnungsstufen. Während die Frühchen bis 749 Gramm nach der höheren DRG P61D abgerechnet werden, erhält das Krankenhaus für Neugeborene ab einem Gewicht von 750 Gramm die niedrigere Fallpauschale gemäß DRG P62B. Der Verband kommentiert dies treffend ironisch: „Offensichtlich wissen schon die Frühgeborenen um die Bedeutung der richtigen Geburtsgewichtsklasse.“

überdurchschnittlich viele Babies liegen unter dem 750 Gramm
Quelle GKV-SV Argumentationspapier für symmetrische Aufwandspauschale 2011

 

So offensichtlich falsch wie diese statistische Häufung, ist jedoch auch die Annahme, dass deshalb eine strafrechtliche Ahndung wegen Betrugs einfach möglich sei. Gerade in derartigen Fällen ist der Nachweis für eine Manipulation im konkreten Fall ohne weitere Beweismittel schwierig.

Ansatzpunkte für die Strafverteidigung beim Abrechnungsbetrug

Als Strafverteidiger ist es meine Aufgabe die Schwachstellen in den strafrechtlichen Vorwürfen herauszuarbeiten. Im Medizinstrafrecht ergeben sich diese vielfach bereits in den nicht mehr genau feststellbaren Tatumständen zur Diagnose, Behandlung oder den eingetretenen Komplikationen. Was ergibt sich aus der Krankenakte? Beim Abrechnungsbetrug ist außerdem die Frage nach der persönlichen Verantwortlichkeit herauszuarbeiten. Durch wen oder auf wessen Anweisung erfolgte die vermeintlich fehlerhafte Codierung? Erfolgte eine nachträgliche Prüfung der Krankenakten mit entsprechend höherer Recodierung? Handelt es sich um eine bewusste Täuschung der Krankenkasse oder nur um eine Fehlinterpretation der komplizierten Abrechnungsvorschriften?

Fehler passieren und es ist richtig, dass der medizinische Dienst mit Prüfungen dafür sorgt, dass die Kosten nicht weiter explodieren, damit die Versichertengemeinschaft nicht stärker als nötig belastet wird. Aufgedeckte Fehler führen zu entsprechenden Erstattungsansprüchen der Krankenkassen gegen die Krankenhäuser. Wenn die entsprechende Abrechnung allerdings in der Vorstellung erfolgte, dass die Leistung tatsächlich erbracht und so abzurechnen sei, ist kein Betrugsvorsatz gegeben. Nicht jeder Fehler muss auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Bei der Konfrontation mit einem Betrugsvorwurf sollten Sie ohne genaue Aktenkenntnis keine Angaben zur Sache machen. Zu unabsehbar sind die Hintergrundinformationen der Ermittlungsbeamten, zu schwer sind die möglichen Konsequenzen die sich aus (möglicherweise widerlegbaren) Angaben ergeben können.

Es gelten die allgemeinen Hinweise für das richtige Verhalten des Beschuldigten bei der Konfrontation mit einem Strafverfahren: Ruhe bewahren, keine Angaben zur Sache machen und sich fachkundig beraten lassen.

Bei Fragen zum Medizinstrafrecht stehe ich Ihnen mit meiner Erfahrung als Fachanwalt für Strafrecht gern zur Verfügung.