Alle Jahre wieder kommt es mal vor, dass eine Ermittlungsakte bei der Justiz abhanden kommt.
Natürlich geschieht dieses Missgeschick nie den gewissenhaften Strafverfolgern selbst, sondern es muss „bei der Übersendung“ geschehen sein (die Post ist Schuld).
Das ist denkbar unangenehm und stellt die Staatsanwaltschaft vor die undankbare Aufgabe die Akte nun irgendwie rekonstruieren zu müssen. Nichts einfacher als das – der Verteidiger hatte bestimmt mal Akteneinsicht und wird seine Kopien doch gern zur Verfügung stellen, oder?
Da steht er nun – der Anwalt als „Organ der Rechtspflege“, mitten im Interessenkonflikt zwischen dem Ansinnen der Justiz an der Überführung des Beschuldigten und den Interessen seines Mandanten, möglichst ungeschoren aus der Geschichte hervorzugehen. Doch wem ist der Anwalt eigentlich verpflichtet? Das ist das Schöne an einem freien Beruf: Verpflichtet bin ich nichts und niemandem außer den Interessen meines Mandanten! Und würde die Herausgabe der Akte mit den belastenden Anschuldigungen nicht vielleicht irgendwie zu der Überführung meines Mandanten beitragen? Wenn die Akte nicht total absurde Anschuldigungen enthält wahrscheinlich schon.
Gibt ein Rechtsanwalt ohne Wissen und Zustimmung seines Mandanten freiwillig die Akten an einen Dritten heraus, verletzt er seine Verschwiegenheitspflicht (§ 43a Abs. 2 Satz 1 BRAO) und „dient“ eventuell sogar „in derselben Rechtssache beiden Parteien“ (§ 356 StGB).
Ich werde nun erstmal mit meinem Mandanten diese ungewöhnliche Bitte besprechen und kann dann – wenn er meinem Rat folgt – kopieren gehen einfach die Sonne genießen.