Die DNA des Rechtsstaats – Wie Karlsruhe dem Kontrollwahn eine Ohrfeige verpasste

Die DNA des Rechtsstaats – Wie Karlsruhe dem Kontrollwahn eine Ohrfeige verpasste

Über die Kunst, auch ohne Sprung in der Schüssel keine Speichelprobe abzugeben

1. Tatort Hildesheim – oder: Wenn Richter Orakel spielen

Wer in Hildesheim zu oft mit dem Gesetz flirtet, landet irgendwann beim Amtsgericht. So auch ein Mann, der sich in der Vergangenheit offenbar mehr für Körperverletzung als für Körperpflege interessierte und deswegen zwei Bewährungsstrafen kassierte. Was also tun? Richtig, dachte man sich in der örtlichen Staatsanwaltschaft: Wenn wir ihm schon keinen Erziehungserfolg attestieren können, dann wenigstens ein genetisches Profil. Sicherheitshalber, für den Fall, dass er in Zukunft wieder auffällig wird. So prophylaktisch wie die Grippeimpfung – nur invasiver.

Die Gerichte nickten fleißig: Zellenentnahme, DNA-Profil, ab dafür. Und das obwohl § 81g StPO eine “konkrete” Gefahr verlangt – nicht bloß ein vages Gefühl, dass jemand “vielleicht mal wieder was macht”. Doch weil das Leben kein Wahrsagerzelt ist, schritt Karlsruhe ein.

2. Karlsruhe sagt: Schluss mit Kaffeesatz-Leserei!

In seinem Beschluss vom 12. August 2025 (Az.: 2 BvR 530/25) zerlegt das Bundesverfassungsgericht die Hildesheimer DNA-Fantasien in ihre molekulargenetischen Einzelteile. Der Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sei massiv, so die Richter – und dürfe nicht auf Basis eines Bauchgefühls angeordnet werden. Oder wie man in Karlsruhe vermutlich nicht sagt: “Nur weil jemand schon mal Mist gebaut hat, heißt das nicht, dass er genetisch dazu verdammt ist.”

Insbesondere rügen die Richter:

  • fehlende Einzelfallprüfung

  • keine sachgerechte Gefahrenprognose

  • Missachtung der aktuellen Lebensumstände des Betroffenen

Die Instanzgerichte hatten sich offenbar mit der intellektuellen Gründlichkeit eines Dönerspießes im Hochsommer durch die Anforderungen des § 81g StPO gedreht. Aber: Rechtsstaat heißt eben nicht “Stempel drauf und weiter”, sondern “Prüfen, Abwägen, Begründen”.

3. Konsequenz: Kein genetischer Generalverdacht!

Was bleibt? Eine erfrischend klare Ansage aus Karlsruhe: Nur weil man jemanden kennt, der früher mal Mist gebaut hat, darf man ihm nicht automatisch das Etikett „Wiederholungstäter in spe“ auf die Stirn kleben – und schon gar nicht in seine Zellen eindringen. Grundrechte gelten auch für Leute mit Vorstrafe. Und Prognosen gehören in den Wetterbericht, nicht in Gerichtsbeschlüsse.

So bleibt festzuhalten: Der Rechtsstaat hat DNA – aber keine Kristallkugel.

Aktenzeichen:

BVerfG, Beschluss vom 12.08.2025 – 2 BvR 530/25