Geschäftsführer wider Willen – oder: Wie man sich ins Gefängnis „faktisch“ hineinarbeitet

Geschäftsführer wider Willen – oder: Wie man sich ins Gefängnis „faktisch“ hineinarbeitet

I. Der Fall: Kartoffelschälbetrieb mit Betriebsblindheit

Was klingt wie ein Sketch aus dem Schwarz-Weiß-Fernsehen der Fünfziger, war in Wirklichkeit Gegenstand einer höchst realen Strafsache: Ein Unternehmen in Süddeutschland beschäftigte osteuropäische Arbeitskräfte, die für 30 Euro am Tag – nicht pro Stunde – Kartoffeln schälen durften. Die Kartoffeln hatten’s gut: Die wurden wenigstens geschält. Die Sozialversicherungsbeiträge blieben teilweise gleich ganz unberührt – was bei der Vielzahl der Fälle irgendwann auch den Fiskus und die Strafverfolgung auf den Plan rief.

Drei Personen wirkten im Unternehmen mit: Einer mit Stempel und Handelsregistereintrag – formeller Geschäftsführer –, zwei ohne offizielles Amt, aber mit wirtschaftlichem Gestaltungswillen. Während der eine Unterschriften leistete, führten die anderen Bankkonten, Mitarbeiter und – wie das Landgericht meinte – das eigentliche Geschäft.

II. Die juristische Frage: Wenn drei sich streiten, wer war dann Chef?

Die Strafkammer sah in den beiden Letztgenannten faktische Geschäftsführer – also solche, die zwar nicht offiziell eingesetzt, aber in der Sache verantwortlich seien. Und weil das deutsche Strafrecht mit Begriffen arbeitet, die sich so elastisch dehnen lassen wie der Begriff “Verantwortung” bei politischen Rücktritten, wurde das kurzerhand so hingenommen.

Der Bundesgerichtshof hatte daran jedoch – man glaubt es kaum – etwas auszusetzen. Denn: Wer als faktischer Geschäftsführer verurteilt werden soll, muss auch tatsächlich eine überragende Stellung innehaben. Nicht einfach nur „mitmachen“, „ein bisschen lenken“ oder „am meisten wissen“, sondern richtig: Weisungsbefugnis, Alleinentscheidungsmacht, faktische Firmenmonarchie.

Diese Prüfung hatte das Landgericht sich gespart – wohl in der Annahme, dass schon irgendjemand schuld sein müsse. Im Zweifel eben alle in einen Sack und mit dem Knüppel der  Geschäftsführerhaftung immer kräftig draufgehauen. Der BGH hingegen verlangte Nachsitzen in Wirtschaftsstrukturkunde und schickte die Sache zurück an die Strafkammer. Mit der freundlichen Erinnerung: Auch im Strafrecht gilt der Grundsatz „nulla poena sine lege“ – und nicht „irgendwer wird’s schon gewesen sein“.

III. Fazit: Zwischen Kartoffelschale und Verantwortungslage

Das Urteil zeigt einmal mehr, dass nicht jeder, der am Ruder steht, auch der Kapitän sein muss. Wer als faktischer Geschäftsführer verurteilt werden soll, muss nachweislich das Ruder fest in der Hand gehalten haben – und zwar nicht nur beim Kartoffelschälen, sondern im unternehmerischen Gesamtgefüge. Die Strafjustiz hingegen sollte sich ab und zu daran erinnern, dass auch der Begriff „überragend“ nicht bedeutet: „Der war irgendwie dabei.“


Aktenzeichen: BGH, Beschluss vom 23. März 2022 – 1 StR 511/21