Richterwahl in Schieflage: Die Demokratie ist nicht kaputt, sie ist nur schlecht gelaunt

Richterwahl in Schieflage: Die Demokratie ist nicht kaputt, sie ist nur schlecht gelaunt

Was war passiert? Drei Richterinnen und Richter am Bundesverfassungsgericht sollten gewählt werden. Es war alles ausgehandelt: SPD, Union, ein bisschen Konsens hier, ein bisschen „Sie kriegen unsere, wenn wir eure nehmen“ dort. Ein klassisches demokratisches Speed-Dating mit Gruppenvertrag. Und dann, bäm: Plötzlich sind die Kandidaten von der Tagesordnung. Plagiatsvorwürfe. Aktivismusvorwürfe. Und natürlich: Über 50 Unionsabgeordnete, die sich dachten, warum immer nur Füßchen unter den Fraktionstisch, wenn man auch mal richtig mit der Hacke stampfen kann?

Plagiatsjagd mit Familienanschluss

Die prominenteste Kandidatin, Frauke Brosius-Gersdorf, wurde plötzlich zur Reizfigur. Der Vorwurf: Ihre Dissertation soll an 23 Stellen bei der späteren Habilitation ihres Ehemanns abgeschrieben haben. Was immerhin chronologisch gesehen rekordverdächtig wäre. Denn ihre Arbeit kam vor seiner raus. Der Plagiatsjäger Weber wusste zwar nicht, wer von wem übernahm, fand aber: Eine Frau kann ja wohl schlecht von einem Mann abschreiben, wenn dieser noch gar nichts geschrieben hatte. Klingt logisch. Wie aus der Hand von Loriot.

Abtreibung, Aktivismus und andere Wahlverhinderungsgründe

Eigentlicher Aufreger war aber wohl, dass Brosius-Gersdorf in einer Reformkommission 2024 über die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen nachgedacht hatte. Für manche Abgeordnete ein Grund, den Untergang des Abendlandes zu wittern. Und damit auch den Untergang ihrer Fraktionsdisziplin. Man wolle doch keine Aktivistin in Karlsruhe, hieß es. Verstehe. Akademisch hochqualifiziert, juristisch argumentationsstark, aber: nicht neutral genug. Wie der ADAC, wenn er Radwege lobt.

Demokratiealarmismus als Staatsdoktrin?

Die Empörung über den geplatzten Wahltermin war groß. Von „Blockade“ war die Rede, von „Supreme-Court-isierung“. Man sah die Unabhängigkeit der Justiz bedroht, den Parlamentarismus in der Sackgasse, den Untergang des Rechtsstaats heraufziehen. Dabei hatte nur eine Parlamentsfraktion nicht so abgestimmt, wie es sich die Parteispitze gedacht hatte. Das ist kein Skandal, das ist Alltag in einer Demokratie. Oder wie man in China sagen würde: „Was für eine anarchische Zumutung.“

Fazit: Wählen darf auch wehtun

Die abgesagte Richterwahl ist kein Drama einer Staatsform, sondern legt „nur“ eine weitere Bruchstelle in der toxischen Beziehung der Regierungskoalition offen. Demokratie ist kein Exerzierplatz für Disziplinfanatiker, sie ist ein Verfahren. Und sie funktioniert eben auch, wenn es mal knirscht. Wer bei abweichenden Meinungen gleich das Ende des Rechtsstaats ausruft, zeigt nur: Er versteht die Freiheit des Mandats und das Prinzip der Gewaltenteilung wie ein Mafia-Pate Loyalität – als persönliche Unterwerfung unter die Familiendoktrin, idealerweise mit Blutschwur oder Betonfüßen.