Vollmachtsfalle mit Totalschaden

Vollmachtsfalle mit Totalschaden

1. Ein Urteil ist ein Urteil ist ein Urteil.

Es war einmal ein Landgericht, das im Spätsommer des Jahres 2024 ein Urteil sprach. Die Angeklagten: wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt zu Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt. Die Nebenbeteiligte: eine GmbH, gegen die die Einziehung eines Wertersatzes in sechsstelliger Höhe angeordnet wurde. Schmerzhaft, aber nicht hoffnungslos. Dachte man.

Denn Rettung winkte in Gestalt der Revision. Wobei „winken“ in diesem Fall eher ein kurzes Zucken im Todeskampf juristischer Hoffnung war.

2. Die Revision: eingelegt – wie ein Boarding ohne Ticket.

Die GmbH wollte sich wehren – und tat das auch: Fristgerecht, innerhalb der Wochenfrist des § 341 Abs. 1 StPO, wurde durch ihren anwaltlichen Vertreter Revision eingelegt und die Vertretung für die Nebenbeteiligte angezeigt. Soweit, so ordentlich.

Aber: Die vorgeschriebene, schriftliche Vollmacht – hier maßgeblich nach § 428 Abs. 1 StPO, der für Nebenbeteiligte gilt – wurde bei Einlegung nicht mit vorgelegt. Und das ist in der Revisionswelt ungefähr so, als würde man beim Einchecken am Flughafen pünktlich erscheinen – aber den Reisepass zu Hause vergessen.

3. Wiedereinsetzung? Nur mit Zeitmaschine.

Man versuchte es mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der Klassiker: „Ich war verhindert, weil…“ – funktioniert meistens dann nicht, wenn man schlichtweg geschlafen hat.

Der BGH war hier streng: Die nachgereichte Vollmacht reichte ihm nicht. Er entschied, dass das Rechtsmittel mangels ordnungsgemäßer Bevollmächtigung unzulässig war. Dabei bemerkenswert: Der Kollege sei bereits am 20. November 2024 auf das Fehlen der Vollmacht hingewiesen worden.

4. Der feine Unterschied: nicht geschlafen – nur zu spät aufgewacht.

Was hier passiert ist, war kein „Ich hab die Frist vergessen“, sondern eher ein „Ich war da – aber hab das entscheidende Papier im Scanner liegen lassen“. Der Kollege hat also nicht die Einlegung der Revision verschlafen, sondern den Nachweis der Vollmacht.

Dass der BGH darauf so unnachgiebig reagiert, mag juristisch vertretbar sein – aber man hätte hier – bei klar erkennbarem Vertretungswillen und fristgerechter Einlegung – auch mal großzügig die kirchliche Gnade der Nachsicht walten lassen können. Gerade wenn die Revision erkennbar im Namen der Nebenbeteiligten eingelegt wurde und der Kollege frühzeitig als Vertreter auftrat. In der Erkenntnisinstanz genügt für den Verteidiger des Angeklagten die anwaltliche Versicherung, dass eine entsprechende Vollmacht vorliegt – warum also hier die vollständige Förmlichkeitshärte des § 428 Abs. 1 StPO durchgezogen wurde mag auch mit der damit verbundenen Arbeitserleichterung zu tun haben. Denn warum sich mühsam mit Einziehungsfragen beschäftigen, wenn man das Verfahren bereits an der Zulässigkeit scheitern lassen kann? Im anderen Fall einer Rücknahme eines Rechtsmittels – für das ebenfalls eine ausdrückliche Ermächtigung erforderlich ist – wird diese doch eher selten angefordert und geprüft.

5. Haftung und Haftpflicht: ein kurzer Anruf mit Beigeschmack.

Ob der Kollege damit haftet? Möglich. Ob die Revision Aussicht auf Erfolg gehabt hätte? Darüber werden sich Anwälte und Versicherer streiten. Klar ist nur: Ein sechsstelliges Einziehungsurteil ist nun rechtskräftig, obwohl der eigentliche Streitpunkt gar nicht inhaltlich geprüft wurde. Und das tut weh – juristisch wie finanziell.

6. Fazit: Formalien sind keine Förmlichkeiten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist kein Fall für den Ethikunterricht. Sondern für den Aktenordner mit der Aufschrift „Formalia töten“. Wer bei der Revision nicht nur rechtzeitig, sondern auch formgerecht agiert, darf mitspielen. Wer das vergisst – selbst bei bester Absicht und tadelloser Fristwahrung – steht draußen vor der Tür.

Und wer das jetzt für übertrieben hält: Bitte sehr, hier ist das Aktenzeichen:

BGH, Beschluss vom 22.04.2025 – 5 StR 86/25