Oder: Wie der BGH dem Landgericht Leipzig die Verpackungsverordnung erklärt hat.
I. Der Fall – Strafsache oder Sicherungsverfahren? Antwort: „Je nachdem, was gerade auf dem Etikett klebt“
Das Landgericht Leipzig hatte eine glorreiche Idee: Wenn ein Angeklagter vielleicht schuldunfähig ist, aber dennoch irgendwie weggesperrt gehört – warum nicht einfach so tun, als sei das alles ein Sicherungsverfahren gewesen? Wie kam es dazu? Die Staatsanwaltschaft beantragte einst einen Strafbefehl, das Amtsgericht machte eine Hauptverhandlung draus, ein Gutachter sprach, das Amtsgericht erkannte seine eigene Unzuständigkeit und ordnete richtigerweise nur eine vorläufige Unterbringung an. Es gab die Sache sodann an das Landgericht ab, das jedoch den Ball nicht sauber aufnahm: Weder stellte die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Durchführung eines Sicherungsverfahrens, noch fasste die Kammer den erforderlichen Beschluss zur Überleitung – und schwupps: wurde der „Beschuldigte“ dennoch in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen, als sei das alles völlig normal.
Was fehlte? Ach ja: die rechtliche Grundlage.
Denn das Ganze war – wie der BGH trocken feststellte – gar kein Sicherungsverfahren. Und als solches hätte es geführt werden müssen, wenn man denn schon meinte, der Mann sei schuldunfähig. Doch stattdessen hat man eine Strafsache draus gemacht, als könne man zwischen § 63 StGB und dem Sicherungsverfahren der §§ 413 ff. StPO frei nach Tagesform entscheiden – obwohl genau das nach ständiger Rechtsprechung des BGH unzulässig ist: „Die Überleitung des Strafverfahrens in ein Sicherungsverfahren nach § 413 ff. StPO ist nach Zulassung der Anklageschrift und Eröffnung des Hauptverfahrens nicht möglich; vielmehr ist der Angeklagte im Falle der Schuldunfähigkeit freizusprechen und gegebenenfalls im Strafverfahren nach §§ 63, 64 StGB unterzubringen“ (BGH, Beschl. v. 18.8.2021 – 5 StR 247/21).
II. Das Urteil: BGH 5 StR 213/25 – eine kleine Lehrstunde in Prozessrecht
Der BGH hat diesen juristischen Etikettenschwindel nicht durchgehen lassen: Urteil aufgehoben, zurück an eine andere Kammer des Landgerichts, und das mit klarer Ansage: Wer nach § 63 unterbringen will, muss auch das Verfahren dafür wählen. Das nennt sich: Formgebot – oder wie Rudolf von Jhering es formulierte:
„Die Form ist die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit. Denn die Form hält der Verlockung der Freiheit zur Zügellosigkeit das Gegengewicht, sie lenkt die Freiheitssubstanz in feste Bahnen, daß sie sich nicht zerstreue, verlaufe, sie kräftigt sie nach innen, schützt sie nach außen.“
Man möchte ergänzen: Sie verhindert auch, dass psychiatrische Unterbringungen aus Versehen auf dem Formblatt „Anklageschrift“ bestellt werden.
III. Fazit – Justiz mit Stil, nicht aus dem Reste-Regal
Was bleibt? Die Hoffnung, dass Landgerichte sich künftig weniger wie improvisierende Küchenchefs verhalten („Was haben wir denn noch im Kühlschrank?“), sondern das richtige Rezept samt korrektem Etikett verwenden.
Denn im Zweifel gilt: „Sicherungsverfahren“ bleibt „Sicherungsverfahren“, auch wenn es in einer Tupperdose mit der Aufschrift „Strafprozess“ serviert wird.
BGH, Beschluss vom 6. Mai 2025 – 5 StR 213/25