Die Anklage umfasst 120 Seiten, richtet sich gegen sieben Angeklagte und insgesamt geht es um einen Schaden im hohen sechsstelligen Bereich. Rechtlich steht ein Bandenvorwurf im Raum und 356 Zeugen wurden aufgeboten. Auf den ersten Blick nachvollziehbar, dass die Staatsanwaltschaft zur großen Strafkammer beim Landgericht angeklagt hat. Da lag sie nun – nach ca. einem Jahr kam mal eine Zwischenmeldung von der zuständigen Wirtschaftsstrafkammer – „ja die Anklage ist hier gelandet, aber wir haben grad ´ne Menge zu tun. Wir melden uns.“ Nun – nach mehr als zwei Jahren dann das nächste Lebenszeichen vom Landgericht. Was kann das wohl sein? Da haben die aber lange überlegt, richtig Gedanken gemacht haben die sich bestimmt und sorgfältig geprüft – aber worüber hat man so lange gebrütet?
Na bestimmt wie man die Nummer vom Tisch bekommt. Natürlich nur vom eigenen. (Das war zumindest mein erster Gedanke als ich den Tenor des Beschlusses las). Das Zauberwort heißt: Verweisung. Das Landgericht eröffnet das Hauptverfahren vor dem erweiterten Schöffengericht des Amtsgerichts. Auf den ersten Blick mutet es ungewöhnlich an:
Aber mein erster Gedanke tat der Kammer unrecht, denn was dann auf den nächsten zehn Seiten folgte war eine sauber begründete Z E R L E G U N G der Anklageschrift. Der hinreichende Tatverdacht für mehrere Vorwürfe wurde verneint, der Anklageschrift enthalte keine konkretisierten Angaben zu möglichen Tatvarianten, für einen Teil der Vorwürfe sei der mitgeteilte Sachverhalt mehrdeutig, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit könne aber keine Sachverhaltsvariante nachgewiesen werden. Wozu der Großteil der Zeugen etwas sagen können soll, sei nach Aktenlage nicht ersichtlich, denn sie wurden bislang nicht vernommen, hätten aber darüber hinaus ohnehin ein Auskunftsverweigerungsrecht. Für einige der behaupteten Zahlungen ergeben sich keine Belege und die durch die Kammer angeregten Nachermittlungen hätten zu keinen weiteren Erkenntnissen geführt.
So etwas liest man als Verteidiger doch gern. Zwar wurde wegen einiger verbliebender Vorwürfe die Anklage zugelassen, aber weder Straferwartung noch Bedeutung der Sache begründen eine Zuständigkeit des Landgerichts. Viel zu häufig werden Anklagen mit eklatanten Fehlern erstmal zugelassen und die nicht haltbaren Vorwürfe dann im weiteren Verlauf als „Verhandlungsmasse“ eingestellt. Unterbewusst ist man damit dem Angeklagten ja schon „sehr entgegen gekommen“ und wird dies dann bei der Strafzumessung der verbliebenen Vorwürfe psychologisch mit einpreisen.
Im Grunde geht damit eine viel diskutierte rechtspolitische Forderung der Verteidigung in Erfüllung: Die Trennung zwischen „Eröffnungsrichter“ und „Tatrichter“. Ein Gericht entscheidet über die Eröffnung des Verfahrens. Ein anderes Gericht muss die Sache dann verhandeln. In der Theorie umgeht man damit die richterliche Befangenheit durch Vorbefassung in der Sache. Denn ein Tatrichter der schonmal entschieden hat, dass die Anklage eröffnet wird, hat ja bereits entschieden, dass nach „vorläufiger Tatbewertung“ eine Verurteilung hinreichend wahrscheinlich ist.
Hier finde ich es fast schade, dass ich nicht mit der Kammer verhandele, die sich schon so kritisch mit der Anklageschrift auseinandergesetzt hat. Aber wer weiß – vielleicht kommt es ja doch noch dazu: Die Staatsanwaltschaft hat sofortige Beschwerde eingelegt. Jetzt ist das Kammergericht dran.