In einem umfangreichen Schwurgerichtsprozess habe ich die Nebenklage vertreten. Auf der anderen Seite saßen fünf Angeklagte, die von zehn sehr erfahrenen Kollegen verteidigt wurden. Diese hatten ihre Mandanten „zugenagelt“ – also folgten sie dem anwaltlichen Rat und schwiegen. Es sollte eine mühsame, aber auch spannende Beweisaufnahme werden.
Am 30. Verhandlungstag erschien ein die Ermittlungen leitender Kriminalbeamter (bereits zum sechsten Mal), um zu berichten und Fragen zu beantworten. Das tat er dann auch – seit 10.15 Uhr berichtete und beantwortete er. Der Sitzungstag neigte sich dem Ende und als sich um 16.15 Uhr zunächst niemand mehr meldete, um weitere Fragen an den Zeugen zu richten, wollte der Vorsitzende diesen entlassen. Nicht so „voreilig“ – die Ankündigung der „Entlassung des Zeugen“ beflügelte die Motivation eines Verteidigerteams, das sodann einen bereits erschöpfend abgegrasten Themenkomplex bearbeitete. Die Fragen kreisten um eine Vernehmung ihres Mandanten im Ermittlungsverfahren. Nachdem eine Frage vom Gericht bereits als unzulässig – weil bereits beantwortet – zurückgewiesen wurde, folgten weitere Fragen der Verteidiger. Der Vorsitzende kündigte um 16.55 Uhr an, den Sitzungstag beenden zu wollen. Das passte den Verteidigern nicht und die Stimmung kippte. Im Rahmen der folgenden Diskussion entspann sich das folgende, recht amüsante Wortgefecht:
Richter: Sie werden nicht erleben, dass Sie im Anschluss an diesen Prozess nahtlos in Rente gehen können.
Verteidiger: Moment – das schreibe ich mir auf.
Richter: Das können Sie sich ruhig aufschreiben, schreiben Sie sich das auch mal hinter die Ohren!
Ablehnungsgesuche bergen immer Sprengstoff. Es folgen dienstliche Erklärungen der Beteiligten über den genauen Ablauf und den Wortlaut. Die verbliebenen Richter der Strafkammer ziehen sodann einen anderen Richter zur Beratung hinzu und entscheiden unter Ausschluss des abgelehnten Richters darüber, ob das beanstandete Verhalten geeignet ist,
„bei einem verständigen Angeklagten die Annahme hervorzurufen, dass der abgelehnte Richter dem Angeklagten gegenüber eine innere Haltung einnehme, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflusse.“
In den allermeisten Fällen werden Befangenheitsgesuche als unbegründet zurückgewiesen. So auch hier:
Die „Würdigung“ des „Hinter die Ohren Schreibens“ als bloße „Bekräftigung“ hat mich zwar schmunzeln lassen, aber nicht wirklich überzeugt. Krähe hin oder her. Im Ergebnis aber wohl zutreffend hat der Vorsitzende mit der Ladung des Zeugen für einen weiteren Sitzungstag seine Unbefangenheit noch in der „Nachspielzeit“ gerettet.
In den noch folgenden 75 Hauptverhandlungsterminen habe ich hin und wieder mal nachgesehen: Nichts gefunden – hinter den Ohren des Verteidigers ;o)