Die Aufarbeitung der Corona-Soforthilfe-Anträge beschäftigt auch vier Jahre nach der Antragsflut und den schnellen, ungeprüften Auszahlungen durch die ILB die Strafjustiz. Doch inzwischen hat sich der Wind gedreht: wenn die Staatsanwaltschaft im Nachhinein den Verdacht hegt, dass die Fördervoraussetzungen nicht erfüllt waren, flattert dem Antragsteller ein Anhörungsbogen ins Haus, sodann ein Strafbefehl oder gleich die Anklage. Mal waren die Geschäfte der Antragsteller angeblich frei erfunden, mal befand sich das Unternehmen schon vor der Pandemie in finanzieller Schieflage oder es lagen keine förderfähigen Betriebskosten vor.
Ungewöhnlich war ein Fall den ich kürzlich vor dem AG Tiergarten verhandelt habe: Der Mandant sei zwar selbständig tätig gewesen, seine Einnahmen seien auch wegen der Pandemie zurückgegangen ABER er habe die selbständige Tätigkeit nur nebenberuflich – nicht im Haupterwerb – ausgeübt und damit einen Betrug begangen. Richtig ist natürlich, dass man nur Antragsteller unterstützen wollte, die darauf angewiesen waren. Wer im Hauptberuf 5.000 € als Angestellter oder Beamter verdient, braucht für seinen nebenberuflichen selbständigen Handel mit Hundeschampoo keine Subventionen.
Deshalb war ich natürlich gespannt, welchem Haupterwerb der Mandant nachging. Sämtliche Konten wurden ermittelt und die Kontoauszüge seitens der Ermittlungsbehörden von den Banken angefordert. Welche weiteren Einkünfte hatte er? Ich fragte den Mandanten, ich las die Akte, ich suchte in den Kontoauszügen und ich fand – NICHTS. Gar nichts. Keine weiteren Einnahmen. Trotzdem beantragte die Amtsanwaltschaft den Erlass eines Strafbefehls wegen Computerbetrugs. Woher stammte die Idee, dass es sich lediglich um einen Nebenerwerb handelte?
Alles vorgetragen und angeregt man möge den unsinnigen Strafbefehl zurücknehmen – das Gericht zweifelt, fragt bei der Amtsanwaltschaft nach, von dort kommt dann nur die geheimnisvolle Antwort, die Einschätzung der Verteidigung werde nicht geteilt. Man wolle den Strafbefehlsantrag nicht zurücknehmen.
In der Hauptverhandlung dann keine Überraschung, sondern der verdiente Freispruch:
„Dabei habe er bewusst wahrheitswidrig angegeben, ein am 01.03.2016 gegründetes Einzelunter-nehmen im Haupterwerb zu führen und die beantragten Mittel ausschließlich für den fortlaufenden betrieblichen Sach- und Finanzaufwand des Unternehmens in den nächsten drei Monaten zu verwenden. Tatsächlich habe der Angeklagte die vorgenannte Tätigkeit nur im Nebenerwerb ausgeübt; auch seien ihm im verfahrensgegenständlichen Zeitraum keine betrieblichen Sach- und Finanzaufwände entstanden. Ihm sei es ausschließlich darauf angekommen, den Zuschuss von der Investitionsbank Berlin zu erhalten, obwohl er gewusst habe, dass die Fördervoraussetzungen nicht erfüllt waren.
Der Angeklagte war aus tatsächlichen Gründen freizusprechen. Mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit war ihm die Begehung der Tat nicht nachzuweisen.
Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung dahingehend eingelassen, dass er die Tätigkeit im Haupterwerb ausgeübt, keine weiteren Konten und Einkünfte gehabt und auch keine Lohnersatzleistungen erhalten habe. Die in der Hauptverhandlung erörterten Kontoauszüge des Angeklagten bestätigen diese Einlassung. Danach waren die Fördervoraussetzungen erfüllt.“
(AG Tiergarten, Urteil vom 15.04.2024, 275 Cs 280/23).