Recht bekommen? Aber nur ein Satz

Recht bekommen? Aber nur ein Satz

Der BGH und die hohe Kunst des feststellenden Schuldbewusstseins

Wenn das Verfahren stockt, aber das Gewissen läuft:

Es gibt Dinge, die dauern. Zum Beispiel Berliner Flughäfen. Oder Strafverfahren. Oder das Zählen von Bestechungsakten in Frankfurt. So auch im Fall eines – nennen wir ihn traditionsbewusst – geschäftstüchtigen Angeklagten, der in 67 Fällen bestochen hat und so nebenbei noch zwei bis drei Subventionsbetrügereien verübte. Das Urteil: Zwei Jahre und neun Monate Haft. Eine Justiz, bei der das Urteil prompt kommt – allerdings nur in der ersten Instanz.

Das war am 12. Mai 2023. Dagegen wurde binnen einer Woche Revision eingelegt und binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils auch fristgerecht begründet. Dann passierte – lange Zeit: nichts. Oder jedenfalls nichts Entscheidendes, außer dass irgendwo im Bundesgerichtshof die Kalender weiterblätterten. Erst am 8. April 2025 – also 1 Jahr und 11 Monate später – kam der große Moment: Der BGH verkündete, dass das Revisionsverfahren für genau sechs Monate „rechtsstaatswidrig verzögert“ wurde.

23 Monate Bearbeitungszeit. Davon 6 rechtswidrig. Bleiben 17.

Was sind also die restlichen 17 Monate? Offenbar: rechtsstaatskonform verschlampt. Ein raffinierter Unterschied. Denn im deutschen Rechtsstaat gibt es keine Fristen, nur Zeitfenster. Manche öffnen sich nicht. Manche sind zu. Und manche sind einfach nicht da.

Was tun, wenn die Zeit läuft, aber das Verfahren nicht?

Der BGH, bekannt für seine poetische Zurückhaltung und gefühlige Urteilsprosa, wagte einen Schritt, den man in besseren Kabarettprogrammen als Ironie des Schicksals verkaufen würde: Er stellte fest, dass etwas schieflief. Nicht alles. Nur ein Sechstel. Und zur Genugtuung des Angeklagten (der vermutlich gehofft hatte, ein halbes Jahr Zwangspause könne man ihm irgendwie auf die Strafe anrechnen) gab es die großmütige Feststellung:

„Das Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof wurde sechs Monate rechtsstaatswidrig verzögert.“

Keine Entschädigung. Keine Haftverkürzung. Kein Rabatt.

Stattdessen: ein Satz. Gedruckt. Und damit – so der Gedanke – Genugtuung genug. Ein Trostpflaster in Form eines feierlich formulierten Behörden-Tattoos auf dem Papier. Rechtsstaat zum Einrahmen. Denn: „Es genügt festzustellen.“

Fazit:
Die Gerechtigkeit mahlt langsam – aber nicht durchgehend. Die meiste Zeit steht sie einfach nur dekorativ in der Ecke. Und wenn sie sich dann mal bewegt, schreibt sie auf, dass sie stand.


Beschluss vom 8. April 2025 – BGH, Az. 1 StR 475/23