Wohnst Du noch oder fackelst Du schon?

Wohnst Du noch oder fackelst Du schon?

Wer sein Haus anzündet, will vermutlich nicht mehr darin wohnen. Klingt banal, ist aber für die rechtliche Einordnung, ob es sich um eine schwere Brandstiftung handelt von entscheidender Bedeutung. Geschütztes Rechtsgut ist und bleibt die „Wohnstätte“ und wenn diese im Alleineigentum des Tatverdächtigen steht, kann er sich auch jederzeit dazu entscheiden, dass das dem Feuer geweihte Gebäude in alter Schabowski Manier „also ick sach ma ab sofort gilt das unverzüglich“ nicht mehr dem Wohnzweck dient.

Der Bundesgerichtshof hob das Urteil des Landgericht Frankenthal allerdings bereits aufgrund einer hanebüchenen Beweiswürdigung auf. Dem Angeklagten wäre eine unbedachte Spontanäußerung fast zum Verhängnis geworden. Dies bestätigt mal wieder die wichtigste Regel der Strafverteidigung: Schweigen ist Gold. Hier hat der Beschuldigte lediglich gegenüber einem Polizisten geäußert, dass er allein vor Ort war, als er den Brand bemerkte. Dies hat dem Landgericht ausgereicht, um davon auszugehen, dass der Angeklagte den Brand auch gelegt haben muss:

„Aus dieser Äußerung hat das Landgericht ohne nähere Begründung den Schluss gezogen, dass der Angeklagte die einzige Person gewesen sei, die sich im Zeitpunkt der absichtlichen Brandlegung vor Ort befand und daher allein als Täter in Betracht komme.“

Da staunt der Fachmann und der Zeuge fürchtet sich. Wenn dies zur Beweisregel erhoben werden sollte, dürften Zeugen, die nicht selbst als Tatverdächtige verfolgt werden wollen, zukünftig nur noch Brände melden wenn sie gleichzeitig andere Tatverdächtige benennen können. Die Qualität der Überzeugungsbildung bewegt sich damit ungefähr auf dem Niveau von: „Wer den Pups zuerst gerochen…“

Das zwischen dem Zeitpunkt der Brandlegung und der Brandbemerkung ein nicht unerheblicher Zeitraum liegen kann, dass der Angeklagte möglicherweise andere Personen schlicht nicht bemerkt hat oder ein technischer Defekt an den Stromleitungen, im Zählerkasten oder einem Küchengerät die Ursache des Brandes gewesen sein könnte, wird nicht weiter erörtert. Die konkrete Brandursache wurde nicht festgestellt. Auch der Zeitpunkt der vermeintlichen Brandlegung oder der Zeitpunkt des Bemerkens wurden nicht mitgeteilt. Objektive Spuren wie Brandbeschleuniger konnten offenbar nicht gefunden werden. Damit ist die Überzeugung von der Täterschaft nichts weiter als eine Vermutung. RUMMS – da ist also doch mal die Grenze überschritten, bei der die Revisionsinstanz die Beweiswürdigung des Landgerichts zerlegt, die doch eigentlich dem Tatrichter vorbehalten ist. Erörterungsmängel in dieser Qualität sind allerdings auch nicht so häufig anzutreffen.

Manche Formulierungen sind so elegant, die möchte man siezen:

„Die zur richterlichen Überzeugung erforderliche persönliche Gewissheit setzt objektive Grundlagen voraus, die den Schluss erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Diese Überzeugungsbildung muss deshalb auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruhen und erkennen lassen, dass die vom Tatgericht gezogenen Schlussfolgerungen mehr als eine Annahme oder eine Vermutung sind, für die es an einer belastbaren Tatsachengrundlage fehlt und die daher nicht mehr als einen ‒ wenn auch schwerwiegenden ‒ Verdacht begründen.“

„Denn regelmäßig ist mit dem Inbrandsetzen der Wille kundgetan, das Gebäude nicht mehr als Wohnung zu benutzen . Eine solche Entwidmung nimmt dem Tatobjekt aber die von § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB vorausgesetzte Zweckbestimmung.“

BGH 4 StR 128/23

Kinderporno-Paragraph verfassungswidrig?

Kinderporno-Paragraph verfassungswidrig?

Kinderporno-Paragraph verfassungswidrig?

Die Strafandrohung bei Delikten der Kinderpornographie wurde zum 01. Juli 2021 deutlich verschärft und beträgt seitdem Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bis zu 10 Jahren. Vorher lag der Strafrahmen bei 3 Monaten bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe.

Zahlreiche Strafverteidiger aber auch Richter und Professoren haben bereits im Gesetzgebungsprozess darauf hingewiesen, dass diese Verschärfung in vielen Fällen zu absurden Ergebnissen führen wird, die dem Unrechtsgehalt der jeweiligen Tat nicht mehr gerecht werden kann. Eine Einstellung des Verfahrens ist aufgrund der erhöhten Strafandrohung auch bei relativ „harmlosen Fällen“ nun nicht mehr möglich. Auch eine Erledigung im Strafbefehlswege scheidet dadurch aus.

Ein Richter des Amtsgerichts München hält die derzeitige Regelung deshalb für verfassungswidrig und hat ein aktuelles Verfahren zum Anlass genommen das Gesetz dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, um es überprüfen zu lassen:

Ein achtjähriges Mädchen hat ihre Vagina fotografiert und dieses Foto einer Schulfreundin geschickt. Deren Mutter war darüber empört und schickte dieses Foto an andere Eltern der Mitschüler, um auf das problematische Verhalten hinzuweisen.

Dieses Weiterleiten des Fotos dürfte den Tatbestand des § 184 b StGB erfüllen. Damit wäre die Mutter wegen Verbreitung kinderpornografischer Inhalte zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr zu verurteilen. Ebenso die Empfänger des Fotos wenn sie dieses nicht unverzüglich nach dem Erhalt löschen. Man stelle sich nun vor, es befände sich unter den Eltern die dieses Foto empfangen haben zufällig eine Richterin die das Foto abends bei verschlossenen Rollläden, mit Schamesröte im Gesicht und voller Empörung im Bauch noch kurz ihrem Mann zeigt um diesen über den Vorgang zu informieren, dann wäre auch diese Richterin wegen Besitz und dem „Unternehmen einer anderen Person einen kinderpornografischen Inhalt zugänglich zu machen“ mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr zu bestrafen, sie würde als Folge der Freiheitsstrafe ihren Beamtenstatus und damit ihre Pensionsansprüche verlieren.

Spätestens bei der Variante dürfte sich jedem bei klarem Verstand offenbaren das der Gesetzgeber mit der Strafverschärfung „weit über das Ziel hinausgeschossen“ ist. Die Einführung eines „minder schwerer Falls“ könnte hier Abhilfe schaffen und dem Richter einen angemessenen Strafrahmen eröffnen. Das Strafverfahren wurde ausgesetzt und das Gesetz gemäß Art. 100 des Grundgesetzes dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung vorgelegt (2 BvL 11/22).

„Kleine Kanalratte“ – Meinungsfreiheit oder Beleidigung?

„Kleine Kanalratte“ – Meinungsfreiheit oder Beleidigung?

Wolfgang Kubicki hat Erdogans Flüchtlingspolitik bei einer Wahlkampfveranstaltung in Hildesheim kritisiert und ihn in dem Zusammenhang als „kleine Kanalratte“ bezeichnet. Dieser hat deswegen nun bei der für den „Tatort“ zuständigen Staatsanwaltschaft Hildesheim Anzeige wegen Beleidigung und Verleumdung erstatten lassen.

Eine Verleumdung dürfte schonmal nicht vorliegen, denn diese setzt eine Tatsachenbehauptung voraus. Dass Herr Kubicki mit seiner Äußerung über Herrn Erdogan NICHT ernsthaft die Tatsachenbehauptung aufstellen wollte, der türkische Präsident stamme aus der Nagetiergattung der Altweltmäuse, habe ein weiches Fell und eine spitze Schnauze dürfte auch dem kleinsten Spatzenhirn und dem größten Hornochsen klar sein. Es geht hier um den Vergleich aus dem Tierreich und darum ob dieser zweifellos abwertende Vergleich die Grenze der „Formalbeleidigung“ oder der „Schmähkritik“ erreicht hat oder noch von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Darüber kann man sich streiten.

Unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen Werturteile sowie Tatsachenbehauptungen, soweit diese zur Bildung von Meinungen beitragen. Und dieser Bereich wird von der Rechtsprechung sehr weit gefasst. Geschützt sind nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen; vielmehr darf gerade Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt geäußert werden. Es ist eine auf den Einzelfall bezogene Abwägung zwischen dem Gewicht der Persönlichkeitsbeeinträchtigung einerseits und der Einschränkung der Meinungsfreiheit andererseits vorzunehmen.

Eine Abwägung ist regelmäßig nur dann entbehrlich, soweit es um herabsetzende Äußerungen geht, die sich als reine Formalbeleidigung oder Schmähkritik darstellen. Hiervon darf wegen der für die Meinungsfreiheit einschneidenden Folgen nur in eng begrenzten Ausnahmefällen ausgegangen werden. Auch eine überzogene oder sogar ausfällige Kritik macht eine Äußerung erst dann zur Schmähung, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht.

Politiker müssen zwar nicht jeden Angriff im öffentlichen Meinungskampf hinnehmen, aber gerade im Bereich der „Machtkritik“ misst die Rechtsprechung der Meinungsfreiheit im Zweifelsfall einen höheren Stellenwert bei, wenn nur ein irgendwie gearteter sachlicher Zusammenhang zu Äußerung des Politikers hergestellt werden kann.

Zur besseren Einordnung der Grenzen hier ein paar Einzelfälle aus der jüngeren Rechtsprechung:

  • Als „Obergauleiter der SA-Horden“ wurde der Grünen Politiker Volker Beck bezeichnet. Das BVerfG bewertete dies als eine zwar überspitzte, aber noch sachbezogene Kritik, die ein Politiker hinzunehmen habe (BVerfG Beschluss v. 8.2.2017, 1 BvR 2973/14).
  • Als „Faschisten“ durfte der Afd-Politiker Bernd Höcke bezeichnet werden, dies sei von der Meinungsfreiheit gedeckt entschied das Verwaltungsgericht Meiningen (VG Meinigen, Beschl. v. 26.09.2019, Az. 2 E JJ94/19 Me)
  • Die Bezeichnung der AfD-Politikerin Alice Weidel als „Nazischlampe“ in einer Satire-Sendung „Extra 3“ der ARD hat das LG Hamburg als zulässige satirische Überspitzung im Rahmen der Meinungs- und Kunstfreiheit bewertet (LG Hamburg, Beschluss v. 11.5.2017, 324 O 217/17).
  • Die Verhandlungsführung einer Richterin erinnere an „nationalsozialistische Sondergerichte“ und an „mittelalterliche Hexenprozesse“ bewertete das BVerfG als hinreichend sachbezogen und stelle somit einen von der Meinungsfreiheit geschützten Kommentar dar (BVerfG, Beschluss v. 14.6.2019, 1 BvR 2433/17).
  • Die Grenzen überschritten hatten Internetnutzer, welche die Grünen Politikerin Renate Künast im Zusammenhang mit einem (angeblich von ihr getätigten) Zwischenruf bei der Diskussion um die parteiinterne Forderung der Entkriminalisierung im Sexualstrafrecht unter anderem als „Schlampe“, „Stück Sch…“, „Drecksau“ und „Pädophilen-Trulla“ bezeichnet hatten. Das BVerfG hob damit ein Urteil des Kammergerichts Berlin auf, das diese Äußerungen noch als von der Meinungsfreiheit gedeckt erachtet hatte. Das Kammergericht sah dies noch als zulässige Meinungsäußerung an, da alle Kommentare einen Sachbezug aufwiesen und somit keine Diffamierungen der Person der Beschwerdeführerin und damit keine Beleidigungen nach §185 StGB darstellten.
  • Der Finanzminister von NRW Walter-Borjans muss sich nach dem Urteil des BVerfG gefallen lassen, wenn sein Wirken im Zusammenhang mit der Erhebung des Rundfunkbeitrags wie folgt kommentiert wird: „Solange in Düsseldorf eine rote Null als Genosse Finanzministerdarsteller dilettiert, werden seitens des Fiskus die Grundrechte und Rechte der Bürger bestenfalls als unverbindliche Empfehlungen, normalerweise aber als Redaktionsirrtum des Gesetzgebers behandelt.“ Wegen dieser Äußerung verurteilten das Amtsgericht und das Landgericht Wuppertal den Beschwerdeführer zunächst wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe. Das OKG Düsseldorf verwarf die Revision. Der Beschwerdeführer überschreite die Grenze eines Angriffs auf die Ehre des Finanzministers, den er als Person herabwürdige. Zwar werde nicht verkannt, dass die freie Meinungsäußerung ein hohes Rechtsgut sei und dass in der Öffentlichkeit stehende Personen deutliche Kritik auszuhalten hätten. Doch seien auch diese Personen wie andere Bürger geschützt, wenn die Grenze eines persönlichen Angriffs überschritten werde. Dies sah das Bundesverfassungsgericht anders und sah darin eben keine Schmähkritik und Beleidigung des Ministers, sondern eine zulässige Machtkritik und in der Verurteilung eine Verletzung des Rechts auf Meinungsfreiheit des Bürgers (BVerfG Beschluss vom 19. Mai 2020 – 1 BvR 1094/19).
  • Auch die Staatsanwaltschaft muss sich Kritik gefallen lassen: ein Verurteilter machte seinem Ärger in einer Email Luft und bezeichnete den Staatsanwalt als „selten dämlich“ und nahm an, dass dieser „nicht lesen und schreiben“ könne. Dies bewertete das Bundesverfassungsgericht ebenfalls noch nicht als Schmähkritik, sondern als eine von dem Recht auf Meinungsfreiheit gedeckte Äußerung (Beschluss vom 09. Februar 2022 – 1 BvR 2588/20).
Urkundenfälschung oder Fälschung beweiserheblicher Daten?

Urkundenfälschung oder Fälschung beweiserheblicher Daten?

Verträge werden heute nicht mehr notwendigerweise ganz klassisch mit einer Unterschrift auf Papier geschlossen. In Zeiten des E-Commerce genügt ein Klick auf den Warenkorb, die Angabe der Lieferadresse zum Kunden und dessen Zahlungsdaten. Manche Firmen setzen aber auf einen Mittelweg. Die Unterschrift wird dann auf dem Tablet oder Handy geleistet.

Nun soll es vorkommen, dass Kunden bei Bestellungen nicht die richtigen Daten angeben. Dies beschäftigt dann in der Regel die Strafjustiz da unterschiedliche Vermögens- und Urkundendelikte in Betracht kommen.

Das Amtsgericht Tiergarten hatte sich kürzlich mit einem Fall zu beschäftigen in dem der Mandant eine sehr hochpreisige Küchenmaschine bestellt hatte. Diese wurde geliefert und im späteren Verlauf bezahlt, daher lag kein Vermögensschaden vor und es war weder Betrug, noch Computerbetrug angeklagt ABER eine Urkundenfälschung.

Die Staatsanwaltschaft hat allerdings nicht beachtet, dass die Unterschrift auf einem I-Pad mit einem falschen Namen den Tatbestand der Urkundenfälschung nicht erfüllt, denn eine digitale Datei ist keine „verkörperte Gedankenerklärung„.

Stattdessen kommt eine Strafbarkeit wegen „Fälschung beweiserheblicher Daten“ in Betracht.

Der Strafrahmen für die beiden Delikte ist identisch und reicht von Geldstrafe bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe.

Ist es dann aber nicht einfach nur spitzfindig? Warum sucht der Strafverteidiger hier mal wieder das berühmte Haar in der Suppe? Ist es im Ergebnis nicht egal welcher der beiden Tatbestände erfüllt ist?

NEIN – derartige Fehler in der Anklage eröffnen Spielräume für Verständigungen, wer Fehler zugeben muss ist in der Defensive und wenn der Schaden ohnehin wiedergutgemacht ist lässt sich in der Regel eine vernünftige Lösung finden: das Verfahren wurde gegen Zahlung einer moderaten Geldauflage eingestellt.

Corona Soforthilfe Betrug

Corona Soforthilfe Betrug

Zahlreiche Strafverfahren wegen „zu Unrecht beantragter Corona-Hilfe“ beschäftigen derzeit die Strafjustiz in Berlin.

Die Investitionsbank Berlin hat im Zuge des Corona Soforthilfe Programm „Corona Zuschuss“ der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe und/oder aus dem Corona Soforthilfeprogramm des Bundes ohne Prüfung der Antragsvoraussetzungen die beantragten Subventionsgelder ausgezahlt – auch wenn die Voraussetzungen dafür im Einzelfall möglicherweise gar nicht vorlagen. Den Antragstellern wird vorgeworfen, bewusst oder unbewusst falsche Angaben bei der Antragstellung gemacht zu haben, da ihnen „kein erwerbsmäßiger Sach- und Finanzaufwand entstanden“ sei und sie daher keinen Anspruch auf das Geld hatten.

Das Landgericht Berlin lehnt nun in einem aktuellen Fall die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen Subventionsbetrug ab, da die Gesamtumstände „Irrtümer bei der Antragstellung“ begünstigt hätten und es „lebensnah erscheine, dass nicht die rechtswidrige Bereicherungsabsicht die motivatorische Triebfeder des Antragstellers darstellt, sondern vielmehr die juristische Überforderung desselben die Ursache der falschen Antragsstellung“ gebildet habe.

Einen besonderen Seitenhieb hält das Landgericht noch für die Investitionsbank Berlin bereit:

„Dies gilt erst Recht, wenn nicht nur der antragstellende Bürger, sondern auch die mit den Fördermitteln betraute Behörde bzw. Landesbank angesichts einer historisch ausnahmslosen bundesweiten Krisensituation allseits den Eindruck einer gewissen juristischen und bürokratischen Überforderung entstehen lässt.“

(536 Qs 4/22).

Lügender Staatsanwalt – Freispruch statt Lebenslang

Lügender Staatsanwalt – Freispruch statt Lebenslang

Dem Mandanten wurde vorgeworfen, am 18.09.1987 einen Mord begangen zu haben. Ein typischer Cold Case. Er wurde aufgrund einer DNA-Spur am Kleid des Opfers verdächtigt und 2019 vom Landgericht Berlin zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Urteil wurde in der Revision vom Bundesgerichtshof aufgehoben und zur neuen Verhandlung an das Landgericht Berlin zurückverwiesen.

Nach elf Hauptverhandlungsterminen im zweiten „Durchgang“ wurde die Beweisaufnahme geschlossen und die Plädoyers gehalten. In den Schlussvorträgen erhalten die Verfahrensbeteiligten die Gelegenheit, die Beweisaufnahme zusammenzufassen, ihre Feststellungen darzulegen, zu würdigen und die entsprechenden Anträge zu stellen. Zuerst die Staatsanwaltschaft, dann die Nebenklage und zum Schluss die Verteidigung, bevor der Angeklagte noch einmal das „Letzte Wort“ hat.

Von besonderer Bedeutung war nach dem Vortrag des Staatsanwalts die Einlassung des Angeklagten, also dessen Stellungnahme zu den Vorwürfen der Anklage. Ich hatte für den Angeklagten in der ersten Beweisaufnahme eine schriftliche Erklärung verlesen. Diese wurde in der zweiten Beweisaufnahme erneut verlesen und später durch eine noch ausführlichere Stellungnahme ergänzt.

Der Staatsanwalt war entsprechend vorbereitet und hat sein schriftliches Plädoyer verlesen. Er beantragte, den Angeklagten erneut wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe zu verurteilen. Ein für ihn wichtiges Indiz, warum es sich bei der Einlassung des Angeklagten um eine reine Schutzbehauptung handele, sei, dass der Angeklagte seine Angaben hinsichtlich des Zeitpunktes des letzten Zusammentreffens mit dem Opfer geändert habe. In der ersten Beweisaufnahme hätte er noch behauptet, das letzte Treffen mit dem Opfer hätte am 13.09.1987 stattgefunden. Nun in der zweiten Beweisaufnahme behaupte er, das letzte Treffen müsse am 16. oder 17.09.1987 stattgefunden haben.

Eine derartige Änderung im Einlassungsverhalten könnte man tatsächlich negativ gegen den Angeklagten werten – soweit sind wir uns einig. Skandalös daran ist allerdings, dass der Staatsanwalt insoweit lügt. Es stimmt schlicht und einfach nicht. Der Angeklagte hatte sich in der ersten Beweisaufnahme nie dahingehend eingelassen, dass das letzte Treffen mit dem Opfer am 13.09.1987 stattgefunden habe.

Gut ist, dass es in der ersten Beweisaufnahme keine mündliche Einlassung gab, sondern eine schriftliche und das Beste an schriftlichen Einlassungen ist, dass man darin nochmal nachlesen kann, was genau erklärt wurde. Das Wort kann eben nur im Munde herum gedreht werden, aber nicht auf dem Papier.

Das Besondere an dem Datum ist nämlich, dass der Angeklagte am 13.09. Geburtstag hat und am 18.09. ein guter Freund von ihm. Anhand dieser Geburtstage und des Kalenders konnte noch eine grobe Erinnerung an die Zeit rekonstruiert werden. Sein Geburtstag fiel in dem Jahr 1987 auf einen Sonntag. Das letzte Treffen mit dem Opfer muss nach seiner Erinnerung in der ersten Beweisaufnahme an dem folgenden Mittwoch oder Donnerstag in der Woche stattgefunden haben. Dies stimmt also genau mit der Erklärung in der zweiten Beweisaufnahme überein.

Wenn der Staatsanwalt erklärt hätte, dass er dem Angeklagten nicht glaubt – geschenkt, das ist seine persönliche Beweiswürdigung.
Wenn der Staatsanwalt erklärt hätte, dass eine Erinnerung nach so langer Zeit ungewöhnlich ist – von mir aus, er soll glauben was er möchte.
ABER er sollte nicht behaupten, dass die Erklärung des Angeklagten in diesem für ihn wichtigen Punkt abweicht, wenn es nicht tatsächlich stimmt. Das ist eine Tatsachenbehauptung zu den (glücklicherweise) nachvollziehbaren Vorgängen in der Beweisaufnahme. Dabei falsche Tatsachen zu verbreiten, ist unseriös, manipulativ und mit Blick auf die möglichen Folgen einfach nur unverantwortlich.
Staatsanwälte genießen bei Gericht ein besonderes Vertrauen, manche haben dieses leider nicht verdient.

Ich habe es rechtzeitig bemerkt und in meinem Plädoyer klargestellt. Es handelt sich um eine entscheidungserhebliche Tatsache, bei der der Staatsanwalt dreist gelogen hat.

Der Staatsanwalt wurde von der Presse danach darauf angesprochen und hat versucht, sich dahingehend herauszureden, dass man die Einlassung aus der ersten Beweisaufnahme auch anders verstehen könne.

Das ist wieder gelogen. Die Aussage war absolut eindeutig.

Hat er bewusst gelogen und geglaubt, er käme damit durch, weil sich niemand mehr die erste Einlassung anschaut?

Am Ende stand für den Mandanten der verdiente Freispruch. Vielleicht hat die entlarvte Lüge des Staatsanwalts sogar geholfen, weil die Kammer erkannt hat, mit welchen Methoden er hier versucht hat, die Anklage zu retten.

Aber man male sich nur mal aus, die Einlassung des Angeklagten in der ersten Beweisaufnahme wäre nur mündlich erfolgt – wem hätte die Kammer wohl geglaubt?

Bertholt Brecht hat es mal auf den Punkt gebracht: „Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher!“

Herr Richter, er ist mir einfach ins Messer gelaufen – 17 mal

Herr Richter, er ist mir einfach ins Messer gelaufen – 17 mal

Was an einen Witz aus der Schulzeit erinnert, wurde von der Realität eines landgerichtlichen Urteils überholt und nun vom BGH entschieden. Der Bundesgerichtshof hat im Februar den Freispruch des LG Hanau im Mordfall der „Main-River-Ranch“ auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage aufgehoben.

Das Vermieterehepaar einer Ranch bei Frankfurt wollte die fällige Miete einfordern. Daraus entwickelte sich ein handfester Streit mit dem Mieter und dessen Sohn. Em Ende war das Vermieterehepaar tot, er hatte insgesamt 17 Messerstiche im Oberkörper und seine Frau 2 Schüsse im Arm-/Schulter-/Kopfbereich. Gefunden wurden die Opfer erst vier Monate später in der Jauchegrube der Ranch. Dort hatten die Angeklagten die Beiden nach der Auseinandersetzung vergraben, die Tatwaffen beseitigt und das Auto der Getöteten auf einem nahe gelegenen Supermarktparkplatz abgestellt.

Im Prozess beriefen sie sich auf Notwehr. Sie seien angegriffen worden und hätten sich nur verteidigt.

Doch warum haben die Angeklagten die Spuren dann verwischt? Weil sie dachten, die Notwehrgeschichte glaubt ihnen doch keiner… Da haben sie aber nicht mit dem Landgericht Hanau gerechnet: gegen Ende der Beweisaufnahme verlasen die Verteidiger eine Erklärung zum Ablauf des Tatgeschehens, welche das Gericht für nicht widerlegbar hielt. Der Sohn sei vom Vermieter mit dem Messer angegriffen worden, konnte es diesem aber entreißen und selbst zustechen. Der angeklagte Vater habe dann die Ehefrau des Vermieters nur erschossen, weil diese mit einem Beil in das Kampfgeschehen eingreifen und den Sohn verletzen wollte. Die ersten 4 tödlichen Messerstiche des Sohnes seien durch Notwehr gerechtfertigt, die 2 Schüsse des Vaters durch Nothilfe und die weiteren 13 Messerstiche auf den zu dem Zeitpunkt bereits Verstorbenen seien von dem Sohn im Zustand der Schuldunfähigkeit abgegeben worden. So kam es zum Freispruch.

In den Feststellungen des Landgerichts liest sich der zugrunde gelegte Ablauf des Kampfgeschehens dann auszugsweise so:

„Trotz der Fixierung seiner rechten Hand durch die linke Hand des Geschädigten K war es dem Angeklagten B nunmehr unter erheblicher Kraftanstrengung möglich, mit dem in seiner rechten Hand geführten Messer noch insgesamt drei Stiche in den oberen Brustbereich des auf ihm sitzenden Geschädigten K anzubringen, der ihn weiterhin mit seiner rechten Hand am Hals festhielt und versuchte, ihm das Messer zu entwinden.“

Merke also, es ist nicht immer verboten, jemandem ein Messer in die Brust zu rammen, denn wer eine Tat begeht die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Der Bundesgerichtshof hatte das Urteil aber dennoch aufgehoben, weil das Landgericht nicht mitgeteilt hatte, wie sich die Einlassungen der Angeklagten verändert hatten und zu welchem Zeitpunkt die letzte Version abgegeben wurde.

Es bleibt jedoch offen, zu welchem Zeitpunkt im Rahmen der mehrtägigen Hauptverhandlung diese Einlassungen verlesen wurden und ob und insbesondere mit welchem Inhalt sich die Angeklagten vor diesem Zeitpunkt eingelassen haben. Dass es bereits frühere Einlassungen gab, ergibt sich aus den Feststellungen an der anderer Stelle.

Außerdem hatte das Landgericht den Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ überdehnt. Der BGH stellt klar:

„Der Grundsatz „in dubio pro reo“ ist keine Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst dann zu befolgen hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung von der Täterschaft zu gewinnen vermag. Auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung ist er grundsätzlich nicht anzuwenden.“

Er bemängelt sodann noch Lücken und Widersprüche in der Beweiswürdigung.

Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Bei der Lektüre des Urteils verbleibt aber der Eindruck, dass man hier den „Gaul von hinten aufgezäumt“ und sich „keinen vom Pferd“ erzählen lassen wollte.

BGH 2 StR 78/16

Der nackte Mann und die Tasche – Falsche Vermögensauskunft ist nicht immer strafbar

Einem nacktem Mann kann man nicht in die Tasche fassen, aber man kann ihn dazu zwingen gegenüber dem Gerichtsvollzieher eine Vermögensauskunft abzugeben. Und wenn diese dann falsche Angaben enthält, wäre das strafbar – oder auch nicht…

Die Vermögensauskunft gliedert sich in 25 Fragen mit weiteren Unterfragen zum Einkommen und Vermögen des Schuldners. Auf fünf Din A4 Seiten sind also einige Angaben zu machen, die teilweise Fallstricke enthalten weil sie mehrdeutig ausgelegt werden können. Mein Mandant hatte bei den Fragen zu „Konten“ nachdem er brav seine eigenen Konten angegeben hatte, noch folgendes angekreuzt:

„Ich bin nicht berechtigt über die Konten anderer Personen zu verfügen.“

Tatsächlich war er jedoch noch ehrenamtlich tätig als Vorsitzender eines gemeinnützigen Vereins. Und dieser Verein hatte ein Konto, über welches er verfügen konnte. Nach seiner Vorstellung gehörte das Vereinskonto aber nicht zu seinem Vermögen. Dass war dem Staatsanwalt offenbar egal, denn er beantragte den Erlass eines Strafbefehls wegen falscher Versicherung an Eides Statt: 70 Tagessätze, also 2,3 Nettomonatsgehälter sollte der Mandant, der schon die Forderung des Gläubigers nicht zahlen konnte, jetzt noch als Strafe an die Staatskasse abdrücken.

Ein Blick in die Kommentierung hilft allerdings weiter: Verstöße gegen die Wahrheitspflicht bei der eidesstattlichen Versicherung sind nach der Rechtssprechung nur erfasst, wenn sie auch dazu geeignet sind, Gläubiger über Zugriffsmöglichkeiten auf Vermögensstücke des Schuldners irrezuführen. Daran dürfte es hier aber fehlen. Selbst wenn der Mandant das Vereinskonto angegeben hätte, könnte der Gläubiger auf dieses Konto nicht zugreifen, da es sich eben nicht um Vermögen des Schuldners, sondern des Vereins handelt. Etwas weiter geht sogar noch das OLG Bamberg. In einer Entscheidung aus dem Jahre 2008 hatte der Schuldner ein eigenes Konto nicht angegeben, weil es sich zu dem Zeitpunkt im Minus befand. Das Amtsgericht verurteilte, denn der Kontostand könnte sich ja schließlich auch kurzfristig wieder ändern, aber das OLG hob diese Entscheidung auf, da keine Feststellungen dazu getroffen wurden, ob die Bank einen Dispositionskredit eingeräumt hatte und wie sich der Kontostand zur Tatzeit entwickelt hatte (OLG Bamberg, 3 Ss 106/08).

Im Ergebnis kommt es also doch nur darauf an, ob der Schuldner wirklich „nackig“ war…

Warum Durchsuchen? WEIL ICH DAS SAGE!

Selten kommt es vor – aber heute war ich mal positiv von einem Polizeibeamten überrascht. Umso wichtiger, dass dies auch mal lobend erwähnt wird, denn von der Staatsanwaltschaft ist mitdenken seitens der Polizei offenbar nicht erwünscht – zumindest wenn es sich zu Gunsten des Beschuldigten auswirkt.

In einem Verfahren wegen des Vorwurfs der Geldwäsche hat der Polizeibeamte einen Durchsuchungsbeschluss gegen meinen Mandanten erhalten, den er vollstrecken soll. Er hatte aber vorher schon fleißig ermittelt und deshalb inzwischen gar keinen Tatverdacht mehr gegen diesen. Er geht vielmehr davon aus, dass der Beschuldigte selbst Opfer einer Betrugsmasche geworden ist. Dies erklärt er dem Staatssanwalt nochmal anhand seiner Ermittlungsergebnisse, die sich auch in der Akte finden, fasst diese zusammen und schickt die Akte zurück mit der „Bitte um Prüfung des Durchsuchungsbeschlusses“. 

Aktenauszug - Durchsuchung wegen Verdacht der Geldwäsche
Aktenauszug – Durchsuchung wegen Verdacht der Geldwäsche

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Er will halt keinen rechtswidrigen Durchsuchungsbeschluss vollstrecken. Denn das wäre es, wenn man durchsucht, obwohl gar kein Tatverdacht vorliegt.

Das Verfassungsgericht hatte in einer Entscheidung mal ein paar treffende Takte dazu geschrieben:

Notwendiger und grundsätzlich auch hinreichender Eingriffsanlass für Zwangsmaßnahmen im Strafverfahren ist der Verdacht einer Straftat. Erforderlich zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 Abs. 1 GG ist somit der Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist. Das Gewicht des Eingriffs verlangt als Durchsuchungsvoraussetzung Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. Ein Verstoß gegen diese Anforderung liegt vor, wenn sich sachlich zureichende plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht finden lassen. Eine Durchsuchung darf nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Verdachts erforderlich sind, denn sie setzt einen Verdacht bereits voraus (vergleiche BVerfG Kammerbeschluss vom 26.10.2011 – 2 BvR 15/11).

Leider trifft die Bitte des Polizisten den Durchsuchungsbeschluss auf Grundlage der aktuellen Ermittlungsergebnisse kritisch zu überprüfen, auf taube Ohren, blinde Augen oder einen arroganten Staatsanwalt, der sich nicht mit den Argumenten auseinandersetzt, sondern auf die Vollstreckung des Durchsuchungsbeschlusses besteht, weil – naja, weil er es eben kann, denn was folgt, ist an Schlichtheit nicht zu überbieten:

 

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Mehr nicht! Keine Prüfung, keine Reflexion, keine Rechtfertigung sondern eine autoritäre Basta-Entscheidung eines Weisungsgebers an seinen Untergebenen. So geht also also die „objektivste Behörde der Welt“ mit den begründeten Einwänden ihrer Erfüllungsgehilfen um.

Was folgt ist die Vollstreckung der Durchsuchung mit viel Aufregung bei der Familie mit minderjährigen Kindern, die in Angst und Schrecken versetzt werden und das Auffinden von – keinerlei Beweismitteln. Oh Wunder – vielleicht lag der Beamte mit seinen Schlussfolgerungen aus den bisherigen Ermittlungen ja richtig und der Beschuldigte ist wirklich unschuldig.

Was macht nun aber der Betroffene und sein Strafverteidiger? Da solche Durchsuchungen nicht angekündigt werden, kann sich das „Opfer“ einer unrechtmäßigen Durchsuchung, nur hinterher beschweren und beantragen, dass gerichtlich festgestellt wird, dass die Durchsuchung rechtswidrig war. Es kommen auch Entschädigungsansprüche in Betracht, wenn ein nachweisbarer Schaden entstanden ist. Bei einer derart willkürlich anmutenden Entscheidung könnte man darüber hinaus noch an rechtliche Schritte gegenüber dem Staatsanwalt nachdenken. Aus der Ausbildung habe ich aber immer noch die 3 Fs der Dienstaufsichtsbeschwerde im Hinterkopf: Fristlos, formlos ABER vor allem fruchtlos.

Ob diese Schritte zur Rehabilitierung beim Betroffenen das Vertrauen in den Rechtsstaat – der eigentlich die Unverletzlichkeit der Wohnung grundgesetzlich garantiert – aber wiederherstellt steht auf einem ganz anderen Blatt…

Scans sind doch Kopien – Hoffnung am Erstattungshimmel!

Scans sind doch Kopien – Hoffnung am Erstattungshimmel!

Die wichtigste Informationsquelle für den Strafverteidiger bildet – neben dem eigenen Mandanten – die Ermittlungsakte. Um die Beweislage und den Verfahrensgang zu beurteilen und mit dem Mandanten besprechen zu können, müssen diese Akten bei Gericht oder Staatsanwaltschaft abgeholt, entheftet, von störenden Knicken und Klammern befreit und sodann durch den Kopierer gejagt werden. Bis zum Ende des letzten Jahrtausends kamen aus dem Kopierer dann in der Regel Reproduktionen der Aktenblätter aus Papier. Seit einigen Jahren können die meisten der angebotenen Geräte allerdings auch scannen und nach anfänglichem Zögern gehen immer mehr Anwaltskanzleien dazu über, mit den entstandenen Pdf-Dateien zu arbeiten. Gerade in größeren Strafverfahren ist dies eine große Arbeitserleichterung, da man mit einem Klick am markierten Lesezeichen, dem eingegebenen Suchbegriff oder in der Lichtbildmappe landet, während der Beisitzer vorne am Richtertisch noch fleißig in den Papierbergen blättert.

Der personelle Zeitaufwand zur Herstellung der digitalen Reproduktion ist absolut identisch. Die Kosten für Ausrüstung und Material dürften sich aufheben. Beim Scannen entfallen zwar Kosten für Papier und Toner, aber man benötigt dafür mehr Datenspeicherplatz und ein mobiles Wiedergabegerät.

Bis zum Jahre 2013 hatten Rechtsanwälte einen Anspruch auf Erstattung der Kosten, die für die Ablichtung der Ermittlungsakte entstehen. Unter Ablichtung verstand man sowohl Kopien als auch Scans. Dann folgte mit dem 2. KostRMoG eine Änderung im Wortlaut von sämtlichen Kostengesetzen. Der Begriff „Ablichtung“ wurde in allen Kostengesetzen durch den Begriff „Kopie“ ersetzt, so auch im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz unter der Nummer 7000 des Vergütungsverzeichnisses. Während der Wahlverteidiger nun seinem Mandanten erklären konnte, dass der Aufwand derselbe sei, ob man die Akte nun einscanne oder ob aus dem Gerät eine Reproduktion aus Papier herauskommt, mussten sich die Pflichtverteidiger mit den Rechtspflegern der Gerichte streiten. Wer die Akte gescannt hatte, bekam von den Hütern der Staatskasse keinen Cent mehr erstattet – Nix, Nada, Niente.

Seltsame Blüten trieb die Rechtssprechung, die eine Erstattung dann noch zubilligte, wenn die Akte zuerst kopiert und sodann eingescannt wurde. Aber auch das wurde zumindest in Berlin nicht mitgemacht. Wer den Aufwand ersetzt bekommen wollte, musste zurück in die Steinzeit und anwaltlich versichern, dass ausschließlich Papierkopien gefertigt wurden. Sämtliche Argumente blieben ungehört: dass der Aufwand für Personal und Wartung gleich sei, dass die Abstufung zwischen den ersten 50 Seiten und den darauf folgenden eben genau auf den personellen Aufwand abzielt etc. war den Rechtspflegern egal. Schließlich habe der Gesetzgeber in seiner Begründung klarstellen wollen, dass es sich bei Scans

„nicht um Kopien im Sinne des Gerichts-und Notarkostengesetzes handelt. Kopie im Sinne des Kostenrechts ist die Reproduktion einer Vorlage auf einem körperlichen Gegenstand, beispielsweise Papier, Karton oder Folie“.

Diese Überlegungen findet sich zwar tatsächlich in den Unterlagen zur Begründung der Gesetzesänderung, allerdings explizit bezogen nur auf das Zurückbehaltungsrecht in § 11 GNotKG. Für die Änderung im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz hat man einfach nur auf diese Begründung verwiesen. Doch die Gerichte gingen darüber hinweg und machten den Pflichtverteidiger einmal mehr zum Sparschwein der Staatskasse, indem sie die Änderung des Wortlautes so auslegten, dass Scans eben auch für Rechtsanwälte kostenrechtlich nun keine Kopien mehr seien sollten.

Viele Verteidiger haben sich beschwert, gekämpft und geklagt. Alle waren erfolglos. Das Kammergericht Berlin hatte gesprochen. Basta. Alle haben aufgegeben. Alle? Nein – einige unbeugsame Verteidiger machten weiter. Unter anderem der Berliner Kollege Malte Höpfner, der mich beim letzten Strafverteidigertreffen auf die Antwort des Petitionsausschusses auf seine Petition aufmerksam machte, die ich hier gern veröffentliche.

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Entscheidend ist, dass die Bundesregierung damit der durch die Gerichte vorgenommenen Auslegung zu ihren vermeintlichen Überlegungen bei der Begründung der Gesetzesänderung ganz klar entgegentritt:

„Diese Begründung zielt vornehmlich auf das in § 11 GNotKG geregelte Recht von Notaren und Gerichten, Urkunden und sonstige Unterlagen bis zu Zahlung der Kosten zurückzubehalten. Hier macht eine Beschränkung des Begriffs „Kopie“ auf einen körperlichen Gegenstand Sinn. Es war nicht beabsichtigt, auch eine Änderung bei der anwaltlichen Dokumentenpauschale herbeizuführen.

Dem Petenten ist darin zuzustimmen, dass es gute Gründe gibt , die Dokumentenpauschale bereits für das Einscannen zuzubilligen, da der Großteil des Aufwandes mit dem Scanvorgang verbunden ist. Der Wortlaut der gesetzlichen Regelung in Nummer 7000 VV RVG lässt dies nach Einschätzung der Bundesregierung auch nach wie vor zu. Allerdings hat u.a. das Kammergericht Berlin den Anfall der Dokumentenpauschale für eine Scan mit Verweis auf die vorstehend wiedergegebene Gesetzesbegründung zum 2. KostMoG verneint.

Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung angekündigt, eine gesetzliche Klarstellung anzustreben. Mit diesem Ziel hat sie hierzu und zu anderen Fragen im Zusammenhang mit der Dokumentenpauschale bereits Kontakt mit den Rechtsanwaltsverbänden und den Landesjustizverwaltungen aufgenommen.“

Der Gesetzgeber fühlt sich hier also von der Rechtsprechung reichlich missverstanden und will dies klarstellen.  Die Beratung fand allerdings bereits am 23.06.2016 im Bundestag statt. Im Dezember 2016 hatte der Kollege Burhoff die Entwicklung schon aus dem Bundesjustizminiterium gezwitschert bekommen und darüber berichtet aber eine Änderung ist bislang noch nicht erfolgt.

Hier ist also das letzte Wort noch nicht gesprochen und es gibt noch Hoffnung, dass die unsinnige Ungleichbehandlung bald endlich ein Ende hat. Vielen Dank an den Kollegen, der bei mir das Thema wieder auf den Bildschirm geholt hat. Weiter so!